1288 - Das Barbarentor
Gunstmar sich über den Bewusstlosen. Er wollte ihn zur Seite wälzen und gegen die Mauer drücken. Dort mochte er sich von den Schlägen und der Folter erholen. Der Kutscher zweifelte keine Sekunde daran, dass der Mann gefoltert worden war. Es gab niemanden in der Stadt, der nicht wusste, was es zu bedeuten hatte, wenn jemand im hohen Bogen durch die Tür auf diese Gasse hinausflog. Eben deshalb fuhr er diesen Weg höchst ungern. Aber das Wetter war so schlecht, und es zog ihn nach Hause in die trockene Stube. Er hatte gedacht, dass es schneller ging, wenn er diese Abkürzung fuhr.
Und jetzt dies! „Ich will mit euch nichts zu tun haben", knurrte er. „Macht doch, was ihr wollt, aber Lasst mich in Ruhe." Er hob den Bewusstlosen auf, um ihn zur Seite zu tragen. Ein Blitz zerriss die Dunkelheit.
Gunstmar sah das geschundene Gesicht vor sich, und er erkannte den Mann. „Heiliger Desotho", stammelte er und ging vor Schreck in die Knie.
Krampfhaft hielt er den Verletzten fest. „Das habe ich nicht gewusst." Für Sekunden war er wie gelähmt und zu keinem klaren Gedanken fähig. „Selbst an ihm haben sie sich vergriffen", murmelte er dann. „Sie haben es gewagt." Er stand auf. Mühelos trug er den Bewusstlosen zum Wagen, der mit Holzstämmen beladen war. Er legte ihn behutsam zwischen zwei Stämme, so dass er nicht herunterfallen konnte, streifte sich seine Ölhaut ab und deckte ihn damit zu, so dass nur noch das Gesicht frei blieb. Dann kletterte er auf den Kutschbock und trieb den Büffel an. Unwillig brummend setzte sich das Tier in Bewegung und zog den Wagen weiter. Doch Gunstmar ging es nicht schnell genug. Er gab dem Büffel die Peitsche, bis er sich in einen gemächlichen Trab versetzte.
Der Kutscher war froh, als er die Gasse endlich hinter sich hatte und in eine breite Straße einbiegen konnte. Mit hasserfüllten Augen blickte er zu einem Gleiter auf, der mit aufgeblendeten Lichtern über ihn hinwegraste. In der Flugkabine brannte Licht, so dass er die Insassen sehen konnte. Sie saßen im Trockenen und plauderten sichtlich vergnügt miteinander. Zwei von ihnen hielten Gläser in den Händen und prosteten sich zu. Wenig später hielt Gunstmar vor einem flachen Haus, das sich den Fabrikgebäuden einer Sägemühle anschloss. Er hob den noch immer bewusstlosen Mann aus der Mulde zwischen den Baumstämmen heraus und trug ihn ins Haus. Er triefte vor Nässe, als er den behaglich eingerichteten Wohnraum betrat, und damit erregte er den Unwillen einer jungen Frau, die in einem Sessel saß und Handarbeiten verrichtete. „Du bist vollkommen verblödet", keifte sie. „Was fällt dir ein, so hereinzukommen und den Dreck hereinzuschleppen. Ich kann morgen den ganzen Tag daran arbeiten, das Haus sauber zu halten. Und wen bringst du da mit? Einen Betrunkenen? Du weißt, dass ich deine Saufkumpane hasse. Ich will ihn nicht sehen. Raus mit ihm."
„Sieh ihn dir an", brummte er und legte den Bewusstlosen auf ein Sofa, das seine Frau mit einer weißen, kunstvoll gestickten Decke geschmückt hatte. Sie setzte zu einem wütenden Protest an, doch die Worte erstarben ihr auf den Lippen. „Wer ist das?" fragte sie, nachdem sie einige Sekunden lang geschwiegen hatte. „Ist er es wirklich?"
„Das siehst du doch", antwortete er, nahm ein Tuch und tupfte das Gesicht des Bewusstlosen ab. „Priester Ropha Kherthrai", stammelte sie und sank voller Ehrfurcht auf die Knie. „Beim heiligen Desotho, wie ist das möglich?"
„Sie haben ihn gefoltert", erwiderte er. „Und auf die Straße geworfen.
Ich hätte ihn beinahe überfahren."
„Das sieht dir ähnlich. Du bist ein Trottel." Sie lief in den Nebenraum und kehrte mit trockenen Tüchern und einer Kanne mit einem lauwarmen Getränk zurück. „Warum musste ich mich mit dir zusammentun? Ich hatte eine große Auswahl. Jeden hätte ich kriegen können. Aber nein, ich musste zu dir gehen. Meine Eltern haben mich gewarnt. Meine Freunde haben mich gewarnt. Alle haben mich gewarnt. Aber nein, ich musste meinen Kopf durchsetzen, und ich war auch noch stolz darauf, weil ich dachte, dadurch beweise ich Persönlichkeit."
„Rede nicht soviel", erwiderte er, „sondern kümmere dich endlich um den Priester."
„Genau das tue ich bereits", fauchte sie, während er zu einem Schrank ging, eine Flasche daraus hervornahm und daraus trank. Ropha Kherthrai stöhnte leise und schlug die Augen auf. Lange blickte er die Frau an, die sich über ihn beugte und seine Lippen mit der lauwarmen
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