1289 - Desteros Söhne
eure Eltern bekommen. Väter und Mütter. Ich habe gewartet. Ich konnte euch nicht aufziehen, und jetzt ist die Zeit reif. Jetzt kann ich auf mein Erbe zurückgreifen, und ich bin dabei, die Spuren zu löschen. Von euren Adoptiveltern lebt niemand mehr, und auch den Anwalt, der die Adoptionen damals vermittelt hat, musste ich töten. Ich will frei sein mit meinen Nachfolgern, denn es trifft zu, dass ich euch als meine Nachfolger betrachte. Nachfolger und auch Partner.«
Alle hatten zugehört. Auch Johnny hatte jedes Wort verstanden. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Er glaubte dieser Gestalt, aber was wollte sie mit den Menschen?
Was sollten sie für den Henker tun? Sollten sie so werden wie er und Menschen töten? Oder wollte er sie mit in seine Totenwelt nehmen, aus der er sicherlich gekommen war? Johnny zumindest glaubte nicht daran, dass dieser Henker noch lebte und ein normaler Mensch war.
Ringo konnte nicht mehr an sich halten. Er fing laut und schrill an zu lachen. Zugleich musste er immer wieder den Kopf schütteln, und als er sprach, überschlug sich seine Stimme. »Nein, das glaube ich nicht. Das stimmt nicht. So einer wie du kann nicht unser Vater sein. Dich gibt es gar nicht wirklich. Du bist eine Spukgestalt. Du bist ein verdammtes Gespenst. Hast du gehört? Ein verfluchtes Gespenst, aber kein Mensch. Und Gespenster können nicht Väter werden. Du willst uns verarschen. Mein Dad ist nicht durch dein verfluchtes Beil gestorben, sondern durch einen Herzschlag, wie auch die anderen. Hau wieder ab und lass uns in Ruhe!«
Der Henker starrte Ringo nur an, dessen Tirade in den letzten Sekunden immer leiser geworden war.
Er hatte plötzlich Angst vor der eigenen Courage und duckte sich leicht zusammen.
Die Gestalt hatte zugehört. Sie stand still. Auch jetzt bewegten sich nur ihre gelben Augen, aber einen Moment später reagierte sie blitzschnell. Wäre er nicht schon ein Schatten gewesen, so wurde er plötzlich dazu. Sein rechter Arm mit dem Beil wischte in die Höhe. Es sah für einen Moment so aus, als wollte er mit der Klinge jemandem den Kopf vom Körper trennen. Das Beil fuhr mit einer eleganten Bewegung auf Ringos Hals zu - und stoppte so dicht davor, dass kaum ein Blatt Papier dazwischen gepasst hätte.
»Du glaubst mir nicht, Ringo? Du willst mir nicht glauben? Soll ich dem Ungläubigen den Kopf abschlagen? Willst du dein eigenes Blut trinken?«
»Nein, ich…«
»Spürst du die Klinge? Spürst du ihre Kälte? Es ist die Kälte des Todes, die ich aus dem Jenseits mitgebracht habe. Denn nicht in deiner Welt, sondern dort habe ich auf meine Rückkehr gewartet. Man hat mich freigelassen, um eine Schuld begleichen zu können. Und genau das werde ich jetzt tun. Ich begleiche eine Schuld, denn ich nehme euch mit. Meine Söhne, meine Beute. Ich weiß, was ich zu tun habe. Die Hölle hat mir eine Chance gegeben, und ich werde sie nicht enttäuschen. Ihr alle werdet zu einem Teil des Bösen werden. Ihr kommt hinein in den Kreislauf, denn ihr seid meine Nachfolger und die Garanten dafür, dass es mich auch weiterhin geben wird. Deshalb nehme ich euch mit.«
Ringo konnte nichts sagen. Er stand unter Schock, aber Dave Norris nicht. Zwar hatte er sich nicht an die grausame Szenerie gewöhnt, aber seine Lippen waren nicht verschlossen.
»Wohin willst du uns schaffen?«, flüsterte er.
Der Henker drehte den Kopf. »In meine Welt. In mein Reich. In das Reich der ewigen Dunkelheit, in dem sich so viele Dämonenseelen tummeln. Die meisten werden für immer dort bleiben, aber es gibt einige Ausnahmen. Eine davon bin ich. Man hat mich entlassen, damit ich meine Aufgabe erfüllen kann. Niemand hat gewusst, dass es mir gelang, Söhne zu zeugen. Es sind einige Jahre vergangen, doch nun kann ich die Frucht meiner Arbeit ernten. Damals wurde mir der Kopf abgeschlagen. Man hat meinen Körper getötet, aber meine Seele nicht. Sie blieb im Reich des Spuks gefangen. Ich bin meine eigene Seele, versteht ihr? Ich habe keinen Körper mehr, aber ihr habt sie. Ich bin der Schatten. Ich bin ein Teil von euch, und man hat mich freigelassen, um euch auf neue Aufgaben vorzubereiten.«
»Hast du denn einen Namen?«, rief Dave Norris mit lauter Stimme.
»Ja. Man nannte mich Destero!«
Plötzlich kam sich Johnny Conolly vor, als stünde er unter Strom. Er hätte am liebsten losgeschrieen, denn dieser verdammte Name sagte ihm etwas. Destero war der Dämonenhenker gewesen, und er hatte auch Johnnys Eltern umbringen
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