1296 - Wenn der Albtraum kommt
vergessen. Da verschwand der Begriff »Spaßvogel« sehr schnell aus meinem Kopf.
»Was willst du?«
»Euch töten!«
»Ist angekommen. Wie auch die anderen Menschen, die dir nichts getan haben?«
»Sie waren einfach fällig.«
»Ach. Bist du der Herr über Leben und Tod?«
»In diesem Fall schon.«
»Und wie kommt das, bitte?«
»Der Vorhof der Hölle muss gefüttert werden. Ich brauche Seelen, verstehst du? Ich habe ihn verlassen. Ich kann ihn verlassen. Ich kann bei den Menschen sein und auch bei den Toten. Ich bin perfekt. Ich bin ein Meister der Täuschung. Und ich mag es nicht, wenn man mir nachstellt. Den Alten habe ich aus dem Weg geschafft. Jetzt seid ihr an der Reihe. So einfach ist das.«
»Das hat man mir schon oft gesagt. Aber du siehst, dass ich lebe, Theo!«
»Noch lebst du, aber nicht mehr lange. Ich bin dein Schicksal. Ich bin euer Schicksal. Hahaha…«
Ich mochte Menschen mit Humor. Der des Killers ging mir allerdings gegen den Strich. Es wurde Zeit, dass ich ihn dorthin schickte, wo es selbst für Theo keine Wiederkehr mehr gab.
»Ich denke, dass wir genug geredet haben«, erklärte ich ihm und zog zugleich meine Beretta. Es war ein Versuch, mehr noch nicht, denn ich wollte wissen, ob ihm die Waffe Furcht einjagte, weil er ja damit rechnen musste, dass ich schoss.
Er schaute sie nur an. Das Licht war hell genug, um die Veränderungen in seinem Gesicht zu sehen.
Meines Erachtens grinste er über diese Reaktion.
»Komm her!«, sagte ich.
»Ach, Sinclair. Meinst du, dass dies so leicht ist?«
»Du brauchst nur nach vorn zu kommen.«
»Nein, nein, hier habe ich das Sagen. Ihr werdet kommen, wenn ich es will.«
»Ich bezweifle, dass du uns dazu zwingen kannst. So stark bist du nicht. Aber gut, wenn du nicht kommen willst, werde ich dich holen.«
»Mit der Waffe?«
»Ja.«
»Du willst mich erschießen?«, fragte er amüsiert.
»Ich könnte es. Aber ich werde zunächst dafür sorgen, dass dir nichts anderes übrig bleibt, als mir zu gehorchen. Ein Schuss ins Bein kann sehr unangenehm sein.«
Er wischte mit seinen Händen vor seinem Gesicht herum. »Alles was du soeben gesagt hast, Sinclair, wird nicht eintreffen. Du wirst herkommen, das schwöre ich dir.«
Wie er das gemeint hatte, bewies er eine Sekunde später. Mit einem artistischen Sprung zurück brachte er sich von seinem Standplatz weg. Er sprang tatsächlich hinein in den Nebel.
Ich hätte schießen können, aber da gab es diese verdammte Sperre in mir, denn der Mann war unbewaffnet. Auch wenn er so viele Menschen getötet hatte, ich brachte es einfach nicht fertig, auf einen Unbewaffneten zu feuern.
Ob er darauf gesetzt hatte, wusste ich nicht. Es konnte sein. Es war aber auch möglich, dass er sich selbst vor geweihten Silberkugeln nicht fürchtete, weil er zu stark gemacht worden war. Ich hatte das Nachsehen, denn der Sprung brachte ihn zurück in die Deckung des Nebels, der ihn auffing wie ein Kissen. Ich aber stand noch immer an der gleichen Stelle und hatte das Nachsehen.
Hinter mir ließ Suko das Fenster nach unten fahren. »Willst du in den Nebel, John?«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Warum hast du ihn laufen lassen?«
»Es ging nicht anders.«
»Was jetzt?«
»Ich werde bis an die Nebelgrenze gehen. Mal sehen, was sich dort tut.«
»Aber gib verdammt Acht.«
»Keine Sorge.« Ich zog das Kreuz hervor. In der Tasche war es besser und griffbereiter aufgehoben.
Den Ärger über das schnelle Verschwinden des Killers machte ich mit mir selbst aus. Obwohl ich mich verdammt anstrengte, war Theo Gain nicht zu sehen. Der dicke Dunst hatte ihn verschluckt, und ich würde ihn kaum hervorlocken können.
Mit zielsicheren Schritten ging ich auf die Nebelwand zu. Aus der Nähe gesehen war mir auch klar, dass es sich nicht um einen Nebel handelte. Wenn ja, dann um eine spezielle Sorte, die auf der Erde wohl kaum vorkam. Es war wirklich eine kompakte Masse, die mich mehr an einen dicken Schaum erinnerte. Er kam mir so dicht vor, dass er mir beim Hineintauchen sicherlich Widerstand entgegensetzen würde, doch so weit wollte ich es nicht kommen lassen. Mein Gefühl sagte mir zumeist, wann ich vorsichtig sein musste, und das war hier der Fall.
Etwa eine halbe Körperlänge entfernt blieb ich vor der Wand stehen. Sie war starr, aber sie war nicht glatt. Sie setzte sich aus rollenden und zugleich erstarrten Wolken oder Wellen zusammen, und sie war so dicht, dass ich nicht hineinschauen konnte.
Aber ich wurde gesehen. Der
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