13 kleine Friesenmorde
der Wanten und Streichen der Segel, war kein Ersatz der abgeheuerten Matrosen. Er war beleibt, ungelenk, uneingespielt, sah sich in jeder Weise überfordert und litt unter starkem Erbrechen. Kapitän Reent Renken bediente selbst das Ruder. Er hielt den Bug der»Euridike« im scharfen Wind. Die Wassermassen, die sich dem Schoner entgegenwarfen, übertrafen bei weitem all das, was ihm im Kampf mit dem Meer je widerfahren war. Kurz vor 15 Uhr erwischte eine schwere Sturzsee das Schiff, beschädigte den Klüverbaum und riss den Bramstag von Bord.
Spritzwasser und Gischt schossen über die Brücke. Der Teufel ritt die See. Weit und breit war kein Schiff in Sicht. Wolkenfetzen trieben am Himmel. Am Horizont standen dunkle Wolkenmassen.
Verbissen steuerte Reent Renken die krängende »Euridike« den haushohen Wellen entgegen und bat Gott um seinen Beistand bei der Berg- und Talfahrt seines Schiffes, das noch seinem Ruder folgte.
Die tapferen Männer um den Kapitän schlossen Luken, kämpften bis zur Erschöpfung um den Erhalt des Schiffes, brassten die Rahen. Sie vernahmen das Ächzen der Masten und banden sich mit Tauen am Besanmast fest. Ihre Hände waren klamm. Über ihre Öljacken trieb die Gischt. Eine Sturzsee schoss über den Bug, der sich kurz danach wieder aufrichtete, und erwischte Keno Warfmann, dem es nicht gelang, mit seinen vereisten Fingern das Tau um seinen Körper zu schlingen. Die kochende See nahm ihn mit über Bord.
Auf der Brücke torkelte Kapitän Reent Renken. Der Sturm warf ihn zu Boden. Er klammerte sich um den Fuß des Kompasses, während sich das Steuerrad hinter ihm unkontrolliert drehte. Er war nicht unschuldig an dem Desaster. Seine Knickrigkeit hatte ihn abgehalten, in Newcastle für Ersatz der abgeheuerten Matrosen Sorge zu tragen.
Steuermann Eilrich Benninga und der Koch Ino Feeken bangten um ihr Leben. Die Gischt spritzte ihnenentgegen, Wellen umspülten sie, nahmen ihnen die Körperwärme, wenn sich der Bug der »Euridike« aufbäumte und danach krachend in ein Wellental eintauchte. Sie sahen, wie der tosende Sturm die Fockrah mit sich riss. Sie beteten mit geschlossenen Augen um ihre Rettung, fühlten die eisige Kälte, die sie zu lähmen begann. Das Unwetter schürte ihre Todesängste, als Blitze über den Himmel zuckten und schwere Donnerschläge ihren Tod anzukündigen schienen.
Hagelschauer entluden sich vom schwarzen Himmel auf das schaukelnde Deck.
Um 17 Uhr, nach einigen starken Böen, flaute der Sturm ab. Die »Euridike« hatte wie durch ein Wunder fürs Erste dem Unwetter getrotzt.
Total erschöpft lösten sich Benninga und Feeken von den Tauen, während ihr Schiff immer noch stark krängte.
Kapitän Reent Renken nahm seine klammen Hände vom Kompasssockel, erhob sich, trat an das Steuerrad, das sich, wie von Geisterhand bedient, bewegte. Er blickte in die sich nähernden dunklen Wolken. Die »Euridike« krängte und dümpelte auf den sich abflauenden Wellen. Seit mehr als elf Stunden hatte er auf der Brücke in Todesangst das Steuer bedient. Sein Blick huschte über die Masten. Das Sturmsegel war gerissen.
Ein Dankgebet floss über seine verkrusteten Lippen. Er fühlte nicht die Kälte, die durch seine durchnässte Wäsche stieg. Sie waren vorerst dem Untergang entronnen, und nun galt es, keine Zeit zu versäumen, denn das Barometer verhieß nichts Gutes, wie er beim Blick auf den Kompass feststellte. Er bediente das Steuerrad. DerSchoner folgte dem Ruder. Der abgeflaute Sturm blies immer noch mit geschätzter Geschwindigkeit von 80 Kilometern in der Stunde aus Nordwest und trieb die »Euridike« vor sich her. Er rief nach seinem Steuermann. Einen zweiten Sturm würde sein Schiff nicht durchstehen. Sie mussten Segel setzen.
Reent Renken verließ die Brücke. Sein Steuermann Eilrich Benninga kam ihm mit bleichem Gesicht entgegen und stützte sich auf das Geländer der Brückentreppe. Er riss den Südwester von seinem Kopf und atmete schwer.
»Käptn, Keno Warfmann ging über Bord«, sagte er.
Reent Renken blickte den Steuermann mit leeren Augen an.
»Entsetzlich!«, erwiderte er, machte ein Kreuzzeichen und hob seine Kapitänsmütze, die wie sein Schiff die Attacken des Sturmes überstanden hatte, kurz vom grauen Haar.
»Es geht um unser Leben. Setzen Sie das Großsegel! Wir nehmen Kurs auf Helgoland!«
»Käptn, die Rote Fahne?«, fragte der Steuermann.
»Die bleibt ungesetzt. Weg damit! Wo befindet sich der Koch? Rauf über die Wanten zu den Rahen«, sagte
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