13 kleine Friesenmorde
Küche, trank ein Glas Sprudel und schaute auf die Uhr. Es war kurz nach acht.
Die Polizei! Der tote Trainer! Er schüttelte den Kopf. »Claas, du verdammtes Schwein! Frömmler! Scheinheiliger!«, schimpfte er, schob die Hände wie zum Gebet zusammen und schloss die Augen. »Gott, wenn es dich gibt, dann danke ich dir! Greta lebt!«, stieß er hervor und weinte. Ihm fuhr ein Stich durch das Herz, als er an den Pfarrer Henning van Thun und seine Frau Franziska dachte. Ehrsame Leute, rechtschaffen in jeder Weise, mit denen er und Minna nur den Telefonkontakt zu Weihnachten und an den Geburtstagen aufrecht erhielten.
Henning van Thun, emeritierter Pfarrer in Wiesmoor, hatte sich mit historischen Beiträgen in der »Ostfriesischen Tageszeitung« einen Namen gemacht.
»Sein Sohn Claas!«, stöhnte er auf und fuhr erschrocken zusammen, als seine Frau mit bleichem Gesicht die Küche betrat. Sie trug ihren Bademantel.
»Wo ist Greta?«, fragte sie hysterisch und blickte sich um. Sie hatte sich vorgebeugt, hielt mit ihren Händen den Kragen des Bademantels zusammen und rang nach Luft, als müsse sie ersticken.
»In ihrem Arbeitszimmer. Sie schläft«, sagte er beruhigend.
»Vati, ich will hier weg! Nehmen wir die Dirn mit zur Insel. Ich will dieses Haus nie mehr betreten!«, zischte sie außer sich.
»Gut, zieh dich an und pack die Koffer. Auch ich will hier weg! Doch was wird aus unserem Schwiegersohn? Greta ist seine Frau!«
»Er wollte sie umbringen. Für seine Beerdigung zahlen wir keine Mark!«, gab sie mit verzogenem, hasserfülltem Gesicht von sich.
»Henning und Franziska! Schrecklich! Sie wissen noch nichts!«, sagte der Alte, schnäuzte sich die Nase frei, klapperte mit seinem Gebiss, strich mit der Hand über seine Glatze, gab sich einen Ruck, verließ die kleine Apartmentküche und stieg über die Treppe nach unten.
Das Telefon befand sich neben der Garderobe auf einer Eichentruhe. Seitlich stand ein alter Gebetsstuhl, ein Geschenk der van Thuns.
Hajo Roolfs atmete tief durch und blickte auf das Siegel des Wohnzimmers. Die Blutlachen! Wir können nicht einfach auf und davon, schoss es ihm durch den Kopf.
Entschlossen nahm er den Hörer von der Gabel und wählte die Nummer, die ihm im Gedächtnis saß.
»Franziska van Thun«, vernahm er.
Ihm stockte der Atem.
»Hallo, wer ist da?«, fragte sie.
Hajo schluckte, nahm sich zusammen.
»Hajo«, sprach er in den Hörer.
»Ach, das nenne ich eine Überraschung. Henning und ich haben gestern Abend noch über euch gesprochen. Ist Greta schwanger?«, fragte Franziska van Thun aufgemuntert.
»Claas – er ist tot«, stotterte der Alte. Er vernahm ihren Aufschrei, legte nicht auf, wartete für Sekunden, wusste nicht, woher er die Kraft nahm, das alles durchzustehen. Er vernahm ihren hastigen Atem.
»Was ist passiert . . . ?«, fragte sie.
»Claas drehte durch. Er erschoss – den – Trainer vonGreta im Wohnzimmer und richtete sich dann selbst«, berichtete Hajo Roolfs stockend mit Tränen in den Augen.
»Claas ist tot?«, fragte sie. Ihre Stimme erstarb.
»Ja, er erschoss sich«, sagte der Alte.
Er vernahm scheppernde Geräusche.
»Henning van Thun«, meldete sich der Pfarrer und Schwiegervater seiner Tochter.
»Claas hat hier wild um sich geschossen! Er – wollte – Greta und auch mich umbringen. Näheres erfährst du bei – der Kripo Norden . . . «, gab der Alte stockend durch.
»Hajo – warum?«, vernahm Roolfs die für ihn sinnlose Frage.
»Wir möchten an seiner Beisetzung nicht teilnehmen«, sagte Hajo Roolfs mit vorwurfsvoller Stimme.
»Claas hat sich erschossen?«, fragte der Pfarrer mit durchdringender Stimme, der von Dienst wegen vielen trauernden Menschen Trost zugesprochen hatte.
»Claas gehört nicht mehr zu uns . . . «, sprach Roolfs in den Hörer und legte auf.
Er vernahm die Stimme seiner Frau. Auf der Treppe stand Minna. Sie trug die dunkelblaue Hose, über einer weißen Bluse den schwarzen Strickpullover.
»Vati, komm, die Dirn hat einen Tee aufgebrüht«, sagte sie besorgt.
Hajo Roolfs folgte ihr nach oben, suchte das Schlafzimmer auf und zog sich um.
Sie nahmen den Tee in der kleinen Küche des Apartments ein, übernächtigt, entschlossen, um 14.30 Uhr die Fähre von Nessmersiel nach Baltrum zu nehmen.
Greta trug Jeans und einen navyblauen Rollkragenpullover.Wie verängstigte Verschwörer sprachen sie leise, mühten sich um Fassung und suchten nach Wegen, alles so schnell wie möglich zu vergessen und hinter sich zu
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