130 - Das Mädchen mit den Monsteraugen
Mail und Hein Kilian war eröffnet und der Deutsche stand so ungünstig, daß es ihn bei der ersten Welle erwischte.
Ein Speer bohrte sich in seine Brust.
Kilian ging in die Knie.
Vivian Mail schrie gellend, warf sich herum und wollte davonlaufen.
Aber wohin?
Die Feinde kamen von allen Seiten und schnitten ihr jeden Fluchtweg ab, bis auf einen ...
Der verzweifelte Gedanke kam ihr urplötzlich.
Das Wohnmobil!
Vivian Mail warf sich nach vorn. Steine, die nach ihr geworfen wurden, verfehlten sie.
Speere wurden nicht geschleudert. Daraus schloß sie, daß die Kriegerischen sie lebend in ihre Hände bekommen wollten.
Die Australierin riß die Tür zur Fahrerkabine auf.
Die Schüssel steckten ...
Vivian Mail drehte sie sofort herum. Der Motor sprang beim ersten Startversuch an.
Die Frau zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub, trockenes Schluchzen brach aus ihr.
Warum das alles? Was ging hier vor. Dies war mehr, als ein normaler Mensch ertragen konnte.
Sie fing bereits ernsthaft an daran zu zweifeln, daß sie überhaupt noch normal war. Vielleicht bildete sie sich das alles nur ein. Vielleicht gab es gar keine Flucht im Mercury, keinen stundenlangen Fußmarsch durch menschenleere Savanne, keine Begegnung mit Hein Kilian und nun mit den Eingeborenen. Das würde bedeuten, daß es auch jene Bette mit den Monsteraugen und jenen teuflischen Geist aus der Flasche nicht gab. Das alles waren doch Hirngespinste!
Aber die Hirngespinste blieben ...
Vivian Mail trat das Gaspedal voll durch.
Der schwere Wagen machte einen Satz nach vorn.
Sand, Steine und Grasbüschel flogen durch die Luft, aber auch zwei, drei Eingeborene, die sich zu nahe vor der Kühlerhaube des großen Fahrzeuges aufgehalten hatten. Sie wurden zur Seite geworfen. Einer wurde regelrecht in die Höhe geschaufelt und krachte so wuchtig gegen die Windschutzscheibe, daß das Glas splitterte.
Dann krachte es zweimal kurz hintereinander ohrenbetäubend.
Der linke Vorderreifen platzte, ein Speer hatte ihn getroffen. Geplatzt war auch der linke Hinterreifen.
Der nach vorn schießende Wagen geriet außer Kontrolle, rutschte herum und begrub einen Angreifer, der nicht mehr schnell genug ausweichen konnte.
Dann knallten Steine gegen das Fahrzeug. Von allen Seiten sprangen dunkle, grellbemalte und dicht behaarte Körper auf sie zu. Das vorübergehende zum Stillstand gekommene Fahrzeug, dessen platte Reifen sich in den Boden wühlten und im weichen Sand immer fester fraßen, bot den auf der Lauer Liegenden genügend Angriffsfläche.
Eine sprangen auf die Kühlerhaube, von links wurde die Tür aufgerissen. Alles Schreien und Zurwehrsetzen hatte keinen Sinn.
Vivian Mail wurde von kräftigen Händen aus dem Wagen gezerrt. Das dünne Hemd wurde bei dieser Aktion noch mehr lädiert, ganze Stücke herausgerissen, so daß die Frau nur noch zwischen all den Schwarzbraunen aussah wie eine Dschungellady, die einen schweren Kampf ausgefochten hatte.
Erschöpft und ausgepumpt taumelte sie ins Freie.
Der Motor des Wohnmobils röhrte noch immer, und eine dicke, stinkende Wolke von Auspuffgasen lag in der Luft.
Die bewaffneten Eingeborenen schleppten sie vor die Gestalt in dem ärmellosen weißen Kleid mit den roten Punkten.
Vivian Mail starrte die schöne junge Frau an, auf deren Gesicht ein stilles, rätselhaftes Lächeln lag.
Die Flasche war wieder verkorkt und die unheimliche, überdimensionale Teufelsgestalt verschwunden. Verschwunden waren auch die fürchterlichen Augen, die sie meinte vorhin kurz in der Aufregung im Kopf ihrer... Tochter gesehen zu haben.
Aber nun war alles wieder normal.
Bette, wie sie leibt und lebt, in betörend sinnlicher Schönheit, stand vor ihr.
Vorhin mußten ihre Sinne sie mit Eindrücken versorgt haben, die überhaupt nicht vorhanden waren.
Also, war ihr Bewußtsein doch gespalten ...
Aber da war das Wohnmobil, da waren die Eingeborenen, da war der ermordete junge Deutsche, der verkrümmt - die Hände um den Schaft des Speeres geschlungen - neben dem fast erloschenen Lagerfeuer lag.
»Bette«, wisperte sie mit einer Stimme, die wie ein Hauch klang. »Du lebst? Was geht hier vor ... Hab’ endlich mal Mitleid mit mir, einmal in elf Jahren ... Zeig’ mir ein einziges Mal dein wahres Gesicht, was du wirklich von mir willst und was du bezweckst mit dem, was mir Angst macht und mir rätselhaft ist... Sag’ mir nur einmal die Wahrheit ... ich flehe dich an... Wie kommst du hierher und was hat das alles zu bedeuten? Bette ...
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