1300 - Die Templerin
einfach zu hoch. Sie konnte den Grund nicht sehen, und der Ausschnitt des Fensters bot zu wenig Platz.
Aber sie hörte die Hufe der Pferde, wenn sie gegen den Boden schlugen. Sie vernahm das Wiehern. Das Kratzen der Kutschenräder auf dem Steinboden. Hart klingende Männerstimmen drangen zu ihr hoch, und jetzt wusste sie, dass der Großinquisitor eingetroffen war.
Die Tracht, die sie trug, war schlicht. Konstanza überlegte, ob sie sich ihrer entledigen sollte, ließ es jedoch bleiben, denn sie wollte nicht zu auffällig sein.
Seltsam war nur, dass sie keine innerliche Aufregung spürte. Sie war so gelassen, als wäre dieser Besuch des hohen Herrn das Normalste von der Welt.
Woher kam das?
Sie kannte die Antwort nicht. Jedenfalls tief aus ihrem Innern, da steckte diese Sicherheit. Vielleicht lag es auch daran, dass sie schon einmal die Macht erlebt hatte, die sie über Männer in bestimmten Situationen bekam. Dann war er Wachs in ihren Händen. Dann vergaß er all das, wofür er früher gestanden hatte.
Das Weib war noch immer die Schlange, die große Verführerin, wie Eva im Paradies.
Konstanza war neugierig. Sie ging zur Tür und öffnete sie spaltbreit. Das reichte aus, um in das Innere des Klosters hineinzulauschen. Es waren die Stimmen der Männer zu hören, die ihr fremd vorkamen in einem Haus, in dem sonst nur Frauen lebten.
Auch die Stimme des Großinquisitors erkannte sie, aber sie hörte nicht, was er sagte. Keine andere Nonne ließ sich auf dem Gang blicken. Alle hatten sich unten versammelt, um dem hohen Besuch die Ehre zu erweisen.
Nur Konstanza wartete, und sie würde wahrscheinlich noch lange in ihrer Zelle sitzen, bis es dem Großinquisitor einfiel, ihr einen Besuch abzustatten. Vielleicht aßen sie erst alle, und wenn sie satt waren, holte er sich den Nachtisch. So blieb ihr nichts anderes übrig, als sich auf den Hocker zu setzen und zu warten. Den Blick hatte sie auf die Tür gerichtet und wartete darauf, dass sie geöffnet wurde.
Zeit verstrich. Sie zählte die Sekunden, die sich zu Minuten reihten, und plötzlich wurde alles anders. Auf dem Gang hörte sie die Stimme der Oberin.
»Sie wartet bereits auf Euch.«
»Ja, das wollte ich so. Ich muss mit ihr reden, denn ich habe sie dazu gedrängt, in das Kloster hier zu gehen.«
»Es war eine gute Idee, Eure Exzellenz«, sabberte die Oberin.
»Wir tun alles, um unseren Schwestern eine Heimat in der Hand des Allmächtigen zu geben.«
»So soll es auch sein.«
Mehr war für die Lauscherin nicht zu hören, denn beide hatten die Tür erreicht, die von Alfa in devoter Haltung aufgezogen wurde, damit der Großinquisitor über die Schwelle treten konnte.
Er sah aus wie immer. Das purpurne Gewand, die Kappe auf dem Kopf, der Ring an seinem zweitletzten Finger der linken Hand, der sicherlich schon mehrmals geküsst worden war.
Auch Konstanza gab sich dieser Zeremonie hin, obwohl es sie anwiderte. Sie beugte sich über den Ring und blieb in einer demütigen Haltung stehen.
Es gefiel dem Großinquisitor nicht, dass Alfa sich noch auf der Türschwelle aufhielt. »Geh jetzt wieder nach unten. Bereite das Mahl vor. Nur meine beiden Wachtposten bleiben zurück.«
»Ich werde tun, was Ihr verlangt, hoher Herr!«
»Das ist gut.«
Kaum hatte sich die Tür hinter Alfa geschlossen, da veränderte sich der Gesichtsausdruck des Besuchers. Die Starre verschwand und schuf einem breiten, faunischen Grinsen Platz. Er kam auf Konstanza zu und flüsterte: »Du siehst, ich habe mein Versprechen gehalten.«
»Ja, und ich habe dich erwartet. Ich habe mich nach dir gesehnt. Der Teufel steckt stärker denn je in mir. Er wartet darauf, besänftigt zu werden.«
»Deshalb bin ich hier.«
Konstanza hob die Schultern. »Du siehst, dass hier kein Lager aus Stroh ist, nur das Holzbrett. Wir werden uns damit begnügen müssen, wenn du willst.«
»Es geht auch anders, nicht?«
»Ja«, sagte sie lachend.
»So wie es die Hexen mit dem Teufel treiben.«
»Sicher. Du kennst es?«
»Ich kenne vieles.«
Konstanza lachte. Sie drehte sich herum – und spürte plötzlich den Stich in ihrem Kopf. In gebückter Haltung blieb sie stehen.
Fremde Gedanken hatten sie überfallen, und diese Gedanken vereinigten sich zu einer Stimme.
»Denke immer daran, wer dich bisher beschützt hat. Es sind nicht die Menschen gewesen. Es war nicht der Großinquisitor. Ich war es, ich allein, und nur mir hast du zu dienen. Ich habe dich die Schmerzen ertragen lassen, und ich habe mit meiner
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