1306 - Hexenbalg
schon abwenden, als mir etwas einfiel. »So ganz unbekannt ist mir der Ort allerdings nicht.«
»Wirklich nicht?«
Ich hatte in Jane Hoffnungen erweckt, die ich leider nicht erfüllen konnte. Der Name drehte sich durch meinen Kopf. Dass ich dort schon gewesen war, wollte ich nicht unbedingt behaupten, aber weshalb war er mir dann bekannt?
Es konnte sein, dass ich ihn schon gelesen hatte. Das Grübeln brachte nichts, das sah auch Jane Collins ein. »Egal, John, wir werden es herausfinden. Ein Blick in den Atlas oder in den Computer wird ausreichen.«
»Genau das wollte ich gerade vorschlagen…«
***
Theo Thamm war glücklich. Er hatte genau das gefunden, wonach er all die langen Jahre gesucht hatte. Er hatte es immer gewusst. Die alten Kirchenschriften konnten nicht lügen. Schon damals hatten die Menschen alles akribisch aufgezeichnet, und die Pfarrer gehörten zu den Personen, die lesen und schreiben konnten, was bei vielen Dörflern, die in der Einsamkteit lebten, nicht der Fall war.
Wer geboren wurde, wer starb, das war in den Kirchenbüchern aufgeschrieben worden. Aber auch Ereignisse, die aus dem Rahmen fielen. Extreme Wetterlagen, Unwetter, Hochwasser, Lawinen, das alles war für den Leser ein Register der Geschichte.
Aber auch Dinge, die für die Menschen nicht erklärbar waren.
Unheimliche Vorgänge. Totgeburten. Hexenkräfte. Zauberei, Schamanentum, Aberglaube, so etwas hielt sich in den einsam in den Bergen liegenden Häusern, und es gab auch Menschen, die diese dunklen Kräfte im Leben sehr wohl akzeptierten.
Wie dieses Kind!
Ein Balg. Ein Kind des Satans, wie Theo aus dem alten Kirchenbuch erfahren hatte. Eine Magd hatte sich mit dem Teufel eingelassen und wollte dieses Kind tatsächlich zur Welt bringen.
Verbohrte und sich fromm gebende Menschen hatten es ihr aus dem Leib gerissen und die Mutter anschließend verbluten lassen.
Wo der Körper verscharrt worden war, hatte Theo Thamm nicht herausfinden können. Sicherlich nicht auf dem normalen Friedhof nahe der Kirche. Irgendwo im Gelände.
Aber es gab noch Edita!
Man hatte das Baby dem Bauern überlassen, bei dem die Magd gearbeitet hatte. Der Großbauer hieß Schwaiger. Er war ein Vorfahre des Vinzenz Schwaiger, der tot in seinem Stall bei den ausgebluteten Pferden gefunden worden war.
Warum er den Balg nicht verscharrt hatte, darüber machte sich Thamm ebenfalls seine Gedanken. Es konnte sei, dass er nicht die innere Kraft dazu gehabt hatte, einem kleinen Wesen einfach die Kehle durchzuschneiden oder ein Messer in den Körper zu jagen.
Auch wenn die Menschen der Meinung waren, dass der Vater des Kindes nur der Teufel sein konnte. So hatte der Großbauer es versteckt und dieses Geheimnis nur immer an einen Nachkommen weitergegeben.
Bis heute.
Aber jetzt war die Kette gerissen. Das Kind befand sich nicht mehr im Besitz der Schwaigers. Der kleine bräunliche Körper gehörte jetzt ihm, und Thamm war froh, dass er die Suche nicht abgebrochen hatte. Er hatte sich auf die Erbfolge verlassen und war nicht enttäuscht worden.
Wenn dieses Kind wirklich das war, von dem die Menschen überzeugt waren, dann besaß es auch die entsprechende Macht.
Das konnte nur so sein, wenn der Vater der Teufel persönlich war.
Alles wies darauf hin. Es war tot, aber es war nicht verwest. Es hatte in der versteckt stehenden Kiste in einer Ecke der Scheune gelegen. Bestimmt kannte niemand aus der Familie das Versteck, nur Schwaiger selbst war es bekannt, aber er konnte nicht mehr reden.
Theo Thamm, der in einem Haus am Rande der Ortschaft lebte, hatte es mitgenommen und in eine kleine Wiege gelegt. Er wusste noch nicht genau, wie es weitergehen sollte. Das Kind hatte sich nicht verändert. Es sah noch immer aus wie aus Holz geschnitzt und anschließend mit einer Feile behandelt. Aber es bestand nicht aus Holz. Das Baby war aus Haut und Knochen, ebenso wie jedes Baby kurz vor der Geburt. Ein fertiger kleiner Mensch.
Warum hatte es überlebt? Warum war es nicht verwest und zu Staub verfallen?
Genau darum drehten sich die Gedanken des Mannes, der tief in das Geheimnis eintauchen wollte. Für ihn stand fest, dass dieses kleine Kind Kräfte besaß, die er nicht einschätzen konnte. Sie waren nicht von dieser Welt. Diese Macht hatte nichts mehr mit dem zu tun, was man in der Schule lernte. Sie war ihm von seinem Vater mitgegeben worden, und nur das zählte wirklich.
Etwas von dieser Macht sollte auf ihn übergehen. Er wollte ein anderes Leben führen. Das als
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