1321 - Das Haus der Schatten
gefüllter Bau stand es vor mir. Es brachte mir Vertrauen entgegen, aber nicht in der absoluten Dunkelheit, die folgte. Sie packte mich wie eine Kraft. Sie stülpte sich über mich. Sie war so schrecklich präsent.« Linda Stone schüttelte den Kopf. »Ich sah nichts, absolut nichts. Und genau das ist so schlimm gewesen. Eine absolute Finsternis, wie ich sie noch nie im Leben gekannt habe. So was liest man immer, wenn Leute vom Weltall sprechen, aber diese Dunkelheit war schlimmer, weil ich das Gefühl nicht loswurde, dass sie lebt.«
»Ach.«
»Ja, sie war so anders. So dicht, so fest. Ich bin auch nicht mehr weitergegangen. Ich hatte vergessen, wie es im Innern des Hauses aussieht. Ich hätte nicht mal allein den Weg zum Ausgang gefunden. Ich hatte jegliche Orientierung verloren. So etwas zu erleben, ist nicht eben schön.«
Bill nickte. »Das können wir nachvollziehen.« Er fragte weiter:
»Passierte noch etwas, oder ist die Dunkelheit ebenso schnell wieder verschwunden wie sie gekommen ist?«
Linda Stone musste erst etwas trinken, bevor sie weitersprechen konnte. »Es passierte noch etwas. Ich hörte ein raues Lachen. Es war eine Männerstimme, die da gelacht hatte. Aber ich konnte niemanden sehen. Es war nur die Dunkelheit da, die sich sogar veränderte, denn sie kroch in mich hinein. Ja, so war das. Ich konnte mich nicht vor ihr schützen. Sie drang wie ein lautloser Dieb in meinen Körper hinein. Das müssen Sie mir glauben«, flüsterte sie.
»Es war etwas Fremdes, das ich in mir spürte, und es hat mir etwas gestohlen.«
»Den Schatten?«, fragte ich.
»Ja, Mr. Sinclair. So muss es gewesen sein. Man hat mir meinen Schatten gestohlen oder auch meine Seele, nämlich das, was einen Menschen ausmacht.«
»Das wissen Sie jetzt genau?«
»Wenn ich es Ihnen sage, Mr. Conolly. Ich habe keine Seele mehr. Ich bin kein Mensch, obwohl ich noch so aussehe. Sie haben selbst erlebt, was mit mir passieren kann. Ich habe mir das Messer in die Handfläche gestoßen, aber ich spüre keine Schmerzen mehr. Alles Menschliche ist mir in diesem Raum oder Haus geraubt worden. Ich lebe nicht mehr, das kann ich fest behaupten. Ich vegetiere nur noch dahin. Hier ist das Haus, hier ist der Garten, alles sieht so aus wie früher, aber es ist nicht mehr so. Es ist alles nur Schein. Ich frage mich manchmal selbst, ob ich überhaupt noch lebe oder nur eine Hülle bin. Ich möchte wieder Schmerzen spüren. Ich möchte auch Freude erleben, aber nichts davon passiert mehr. Ich bin völlig allein, und ich bin auf mich gestellt, denn ich weiß nicht, wo ich Hilfe bekommen kann.«
»Zumindest bei uns«, sagte Bill Conolly und zeigte ein optimistisches Lächeln.
Linda Stone schaute Bill aus großen Augen an. »Was können Sie denn für mich tun? Wollen Sie versuchen, mir meine Seele zurückzugeben?«
»Im Endeffekt auch das.«
»Nein, Mr. Conolly, nein, das schaffen Sie nicht. Das wird nicht passieren. Da sind Kräfte am Werk, gegen die Sie nicht ankommen.« Sie hob den Arm an und malte mit ihrem Zeigefinger über dem Kopf einen Kringel. »Dagegen haben Sie kein Mittel, die sind stärker als wir.«
»Haben Sie schon darüber nachgedacht, woher diese Kräfte wohl gekommen sein könnten?«
»Das kann ich nicht«, flüsterte sie ausdruckslos. »Vielleicht wollte ich es auch nicht. Aber ich will ehrlich sein. Es ist plötzlich über mich gekommen, und ich kann nur sagen, dass diese Kraft nicht menschlich ist und auch nicht göttlich. Ich habe mir zusammengereimt, dass sie eventuell aus der Hölle stammt.«
»Das ist wohl nicht so verkehrt«, sagte ich.
»Ach. Dann glauben auch Sie an den Teufel oder…«
Ich verzog die Lippen. »Ja, das muss ich wohl. Ich finde für Sie sonst keine andere Erklärung.«
»Dann ist der Teufel dunkel«, sprach sie leise vor sich hin. »Dann ist er das, was man immer gesagt hat. Schon als kleines Mädchen hörte ich, dass in der Finsternis kein Leben entstehen kann. Oder keines, was wir Menschen akzeptieren können. Nur Finsternis und…«, sie wusste auch nicht mehr weiter und sackte auf ihrem Stuhl zusammen.
Ich hatte sehr genau zugehört und auch nur wenige Fragen gestellt, weil ich mich durch sie von meinen eigenen Gedanken nicht ablenken lassen wollte. Sie hatte von der Schwärze der Hölle gesprochen, vom Teufel. Das mochte angehen, das konnte sie akzeptieren, aber ich war nicht der Meinung, denn die Hölle hatte für mich ein anderes Gesicht. Ich wollte nicht behaupten, das Gesicht zu kennen,
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