1321 - Das Haus der Schatten
denn die Hölle hatte verschiedene Fratzen, aber es gab immer eine Fratze, egal wie man sie einstufte. Nur eben nicht diese schreckliche Dunkelheit, die so dicht war.
Da gab es schon einen Unterschied, und der war mir präsent. Ich glaubte, dass in diesem Haus der Spuk sein Unwesen trieb und den Schatten oder die Seele eines Menschen geraubt hatte.
»Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich machen soll«, hörten Bill und ich Mrs. Stone flüstern. »Ich fühle mich nicht mehr als Mensch. Ich bin nur eine Maschine, deren Motor jeden Augenblick zu stottern anfangen kann und dann nicht mehr weiterläuft.«
Ich übernahm wieder das Wort. »Sie haben mein Kreuz gesehen, Mrs. Stone.«
»Ja, das habe ich. Und es ist wunderbar gewesen. Da bin ich ganz ehrlich.«
»Was haben Sie gefühlt?«
Linda Stone blickte mich für eine Weile nur an. Ihre Augen waren weit geöffnet, und sie wusste nicht, ob sie lächeln oder weinen sollte. Ein paar Mal zuckte sie mit den Lippen, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich muss Ihnen leider sagen, Mr. Sinclair, dass ich rein gar nichts gespürt habe. Nichts. Es ist einfach nur…«, sie hob die Schultern, »was soll ich dazu sagen? Neutral?«
»Das müssen Sie wissen.«
»Ja, neutral.«
»Und es ist trotzdem etwas passiert, Mrs. Stone. Haben Sie die dunklen Schlieren nicht gesehen, die über mein Kreuz hinwegliefen? Sie sahen aus wie kleine dunkle Wolken.«
»Kann sein«, flüsterte sie. »So genau erinnere ich mich nicht.«
»Gut, bleiben wir beim Thema. Diese Wolken müssen irgendwo hergekommen sein. Sie haben sich nicht einfach gebildet, weil sich die Umgebung verändert hat und feuchter geworden ist. Für mich waren es die Wolken, die von Ihnen stammten, Mrs. Stone.«
»Bitte?«
»Ja, aus Ihrem Innern.«
»Wolken?«, flüsterte sie, »dunkle Wolken sollen aus mir gekommen sein?«
»Ja, Ihre Seele.«
»Aber ich habe keine.«
»Doch die haben Sie, Mrs. Stone. Es ist nur eine andere gewesen. Möglicherweise hat man einen Austausch vorgenommen, und Sie werden nicht mehr von einer menschlichen Seele geleitet.«
Für sie war es alles andere als einfach, derartige Worte zu verkraften. Sie schaute mich auch an, als würde sie mir kein Wort glauben. Das ging nicht in ihren Kopf.
»Meinen Sie damit einen Teil von der Hölle?«, flüsterte sie mit kaum zu verstehender Stimme.
»Nein, lassen wir die Hölle aus dem Spiel, auch den Teufel, denn es gibt noch andere Dinge.«
Linda Stone wollte mir nicht glauben, und richtete ihren Blick auf Bill, um die Wahrheit zu erfahren. Als der nickte, schrak sie leicht zusammen.
Für einen Moment war sie durcheinander. Bestimmt stürmten unzählige Gedanken auf sie ein. Schließlich hatte sie sich halbwegs gefangen und fragte: »Stimmt das?«
Bill zuckte mit den Schultern. »Wir können es leider nicht ausschließen, Mrs. Stone.«
»O Gott. Was mache ich denn jetzt? Ich kann nicht weiterleben. Überhaupt ist das kein Leben.«
»Bitte, behalten Sie die Nerven«, sagte ich. »Ich weiß, dass ich das leicht so sagen kann, aber Mr. Conolly und ich werden alles versuchen, was in unseren Kräften steht, um Sie, Mrs. Stone, wieder zu einem normalen Menschen zu machen.«
»Können Sie das garantieren?«
»Nein, aber wir geben unser Bestes. Und ich möchte, dass auch Sie uns helfen.«
»Wie denn?«
»Indem Sie uns sagen, wo wir das Haus finden, in dem Ihnen das alles widerfahren ist.«
Bill und ich hatten mit einer sofortigen Antwort gerechnet. Da lagen wir jedoch falsch, denn Linda Stone schüttelte den Kopf. »Ich werde Ihnen nichts sagen.«
»Oh, warum nicht?«
Sie blickte Bill an. »Weil ich selbst dabei sein möchte. Verstehen Sie? Ich will mit Ihnen in dieses Haus gehen, auch wenn ich alles noch mal erleben muss. Aber ich möchte meinen Schatten zurückhaben. Ich will als Mensch sterben, später mal, aber ich will nicht als Kreatur eingehen. Als nichts anderes sehe ich mich an.«
Es lag jetzt an uns, ihrem Wunsch zuzustimmen. Bill schaute mich an, ich ihn, und ich sah, dass er nickte. Also war er damit einverstanden.
»Haben Sie sich entschieden?«
»Ich schon«, sagte Bill.
»Und Sie, Mr. Sinclair?«
Ich trug meine Bedenken vor. »Und Sie wollen sich diese Tortur wirklich antun, Mrs. Stone?«
»Ja, das will ich.« Sie deutete auf ihre Brust. »Es steckt tief in mir. Ich will wieder zu einem normalen Menschen mit einer normalen Seele werden.«
»Das kann ich verstehen.«
»Dann sagen Sie ja?«
Ich nickte.
»Danke«, flüsterte sie,
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