1335 - Die Verlorenen Geschenke der Hesperiden
Raynit-Sit-Vornay!"
*
Es war nicht verwunderlich, daß Vornay diesmal als erster auf Finybim eintraf. Er hatte sein bestes Gewand angelegt, einen grünen Umhang mit goldbestickten Nähten. Er hatte sich seinen Tellerschädel mit wohlriechendem Balsam eingerieben, und an den Fingern trug er kleine, silberne Hüte. Seine Schuhe steckten in Sandalen aus der Haut des Tranfisches, und hinter ihm rollte sein persönlicher Robot und trug ein Tablett mit erfrischenden Getränken und einem kleinen Imbiß. Allein daraus ließ sich entnehmen, daß der Gataser mit einer längeren Sitzung rechnete. Ein computergesteuerter Container mit Akten und Filmmaterial folgte, und die Holoprojektoren waren bereits aufgebaut und warteten darauf, in Betrieb genommen zu werden.
Vornay ließ sich auf dem bescheidenen äußersten Platz nieder, auf dem er seit Jahren saß. Je bescheidener der Platz, desto größer der Einfluß. Dieser alte Grundsatz hatte die ganze Zeit über gegolten, und er würde ewig Geltung besitzen, zumindest so lange, wie die Regierung es wollte.
Eine Regierung, die nicht mehr lange existieren durfte.
Raynit-Sit-Vornay hatte eine weitere Unterredung mit seinem Geschenk gehabt. Es hatte ihn in seinem Kurs bestätigt, und er hatte daraufhin seine schwer bewaffnete Plattform in den Binnenhafen Finybims gefahren und dort verankert, wo alle Räte ihre Wasserfahrzeuge befestigten, wenn sie nicht mit einem Gleiter kamen. Die Regierungsplattform trieb entlang der Küste des Grünen Meeres, und von den höchsten Türmen der Verwaltung konnte man ins Landesinnere bis nach Bleichstriit sehen.
An diesem Tag herrschte so gut wie kein Raumflugverkehr im Verth-System. Es war, als hielten alle Blueswelten den Atem an, und das war gut so. Es paßte in das Konzept, das Vornay sich gemacht hatte. Er setzte sich und nahm von dem Tablett. Er verzehrte einen kleinen Imbiß und wartete, und als er endlich Schritte hörte, da stellte er fest, daß alle anderen Krisenräte gemeinsam kamen. Nonuorimuun hatte es ihm vorausgesagt, und Vornay schluckte zufrieden den letzten Bissen hinunter und erhob sich respektvoll. Dabei bewegte er sich gerade soviel, daß es nicht unterwürfig aussah.
Eine kurze Begrüßung folgte, die Krisenräte setzten sich. Sie starrten vor sich hin und warteten, bis Tüfy-Hüi-Syl als Vorsitzender das Wort ergriff. Sie mußten ziemlich lange warten, denn zunächst schwieg er eine halbe Stunde. Dann erhob er sich, bediente sich von Vornays Tablett, aß und trank eine halbe Stunde, rülpste und nieste. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und verdaute und schlief eine Stunde.
Die Blues, insbesondere Vornay, saßen wie aufglühenden Kohlen und doch wagte keiner es, auch nur laut zu schnaufen. Syl zelebrierte einen alten Brauch, der erst nach der Chronofossiliengeschichte abgeschafft worden war und jetzt neu auflebte.
Endlich erwachte Syl, rülpste ein letztes Mal und sprang auf.
„Es sind nur wenige!" schrillte er laut. „Sie sind krank, denn sie sind anders als wir. Sie haben keine Daseinsberechtigung in dieser Zeit. Sie sind Blues, aber ihre Seelen sind uns fremd. Die Geschenke wissen nichts mit ihnen anzufangen. Sie kommen zu uns und beschweren sich. Wir zeigen uns den Verlorenen Geschenken gegenüber dankbar, aber das ist nicht genug. Es wird Zeit, daß wir die Konsequenzen aus der unhaltbaren Situation ziehen!"
„Wir wissen, was du meinst", brummte HerlüÜps-Vyn düster. „Die Situation ist schon lange unhaltbar. Wir haben uns um eine Entscheidung gedrückt, und unsere Völker haben sich damit begnügt, eine Krisenregierung auf Gatas zu berufen. Es war nicht genug. Deshalb wollen wir heute einen Sonderbeauftragten wählen!"
Er wandte den Kopf zur Seite, blickte von Vornay weg in eine andere Richtung. Ein zweiter Rat tat es ihm nach, und nach kurzer Zeit sahen sie alle weg von ihm. Nur das Augenpaar an ihrem Hinterkopf musterte ihn, die starren, nicht beweglichen Augen schienen ihn zu durchbohren. Raynit-Sit-Vornay wußte, daß die Wahl bereits erfolgt war, und er erinnerte sich auch an dieses alte Zeremoniell. Er wandte ebenfalls den Kopf und beobachtete sie nur mit den Hinterkopfaugen, bis Syl in die Hände schlug. Die Köpfe drehten sich andersherum, und eine weitere halbe Stunde des Schweigens begann.
Vornay nutzte die Zeit, die ihm gegeben war, um sich die Rede noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Kein einziges Mal schielten seine Augen zu den Aufnahmekameras, die den Vorgang der Wahl
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