1341 - Die Wiege des Kretins
war dieses Wesen? Sagen Sie mir die Wahrheit!«
Dr. Muhani steckte in der Klemme. Er suchte nach einem Ausweg, doch er sah auch, dass er sich so leicht nicht davonschleichen konnte. Mein Blick bannte ihn auf der Stelle.
»Ein Kretin«, flüsterte er.
»Sehr gut. Damit kommen wir der Sache schon näher. Aber auch ein Kretin hat Eltern. Er entsteht nicht nur aus der Luft. Da muss schon etwas dahinterstecken.«
»Ja, Sie haben Recht.«
»Und?«
Dr. Muhani hob den Kopf an. »Man hat mich gezwungen«, erklärte er mit leiser Stimme. »Ich habe mich nicht dagegen wehren können. Hätte ich es versucht, hätten es die Patienten büßen müssen. Genau deshalb habe ich zugestimmt.«
»Wem?«
»Die Wiege wurde aufgestellt…«
»Wie hieß die Person, der Sie zugestimmt haben?« Ich wollte nicht, dass er vom Thema abwich.
»Sie hat mir Ihren Namen nicht gesagt. Sie hat mich besucht. Ich kann sie Ihnen beschreiben.«
»Tun Sie das!«
Er brauchte nicht erst lange zu reden. Bereits nach den ersten Worten war mir klar, dass er Besuch von diesem verfluchten Hypnotiseur bekommen hatte.
Die Macht und die Kraft des Saladin kannte ich. Sie erwischte jeden normalen Menschen. Es war ihnen so gut wie unmöglich, sich dagegen zu wehren, und so war auch der Arzt in diesen verfluchten Bann hineingeraten. Er hatte nicht anders gekonnt, als zu gehorchen. Er selbst war in einer nächtlichen Stunde zusammen mit Saladin in das Verlies unter dem normalen Krankenhauskeller hinuntergestiegen und hatte die Wiege dort mitsamt ihrem Inhalt hinterlassen.
»Was hat Ihnen Saladin über den Inhalt erzählt?«, flüsterte ich.
»Es wäre der Keim«, gab er stockend zu. »Der Keim für etwas völlig Neues.«
Ich konnte es kaum glauben und fragte: »Dieser Kretin?«
»Ja.«
»Haben Sie ihn gesehen?«
Dr. Muhani zögerte. Schließlich nickte er. »Ich konnte einen Blick in die Wiege werfen und sah das Kind.«
Beinahe hätte ich laut gelacht. Kind!, hatte er gesagt. Nein, von Kindern hatte ich andere Vorstellungen. In dieser Wiege hatte kein Kind gelegen, sondern ein Monster. Genau das sagte ich meinem Gegenüber auch.
Der Arzt zögerte. Er schwitzte. Er befand sich in einer Klemme.
»Für Saladin ist es ein Kind gewesen.«
»Toll. Und wer waren dann die Eltern?«
»Das hat er mir nicht gesagt. Aber er sprach noch von der Macht des Baphomet.«
»Kennen Sie ihn?«
»Nein. Aber er scheint mir sehr mächtig zu sein. Das Kind muss ein Abkömmling von ihm sein. Ich weiß nicht, wie es entstanden ist, welche Person es geboren hat, aber ich hörte, dass es eine neue Zeit einläuten sollte. Es wäre auch nicht für immer in der Wiege geblieben. Es war dafür vorgesehen, sich um andere Aufgaben zu kümmern.«
»Um welche?«
»Das weiß ich nicht. Aber es sollte hier im Krankenhaus bleiben und einen Stützpunkt bilden. Ich glaube, dass sie überall hier in Alet-les-Bains ihre Stützpunkte errichten wollen. Sie wollen die kleine Stadt unter ihre Kontrolle bringen. Von hier aus soll die Bekehrung zu Baphomet hin ausgehen. Das habe ich noch erfahren können. Im Krankenhaus hat man den Anfang gemacht.«
»Warum gerade hier?«
Der Arzt zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht. Aber hier haben wir ein gutes Versteck mit dem Keller unter dem Keller. Das Wesen kann schnell im Krankenhaus selbst erscheinen und kann sich auch ebenso schnell wieder zurückziehen. Ihm stehen alle Türen offen.«
»Standen«, korrigierte ich ihn. »Wir haben den Kretin vernichtet.«
Dr. Muhani sagte nichts dazu. Sehr abwesend schaute er auf die Schreibtischplatte.
Ich kam noch mal auf den Besucher zu sprechen. Damit verfolgte ich einen bestimmten Grund. Freund Godwin hatte mir von dieser Geistgestalt erzählt, die praktisch sein Führer gewesen und dann am Ziel sehr schnell verschwunden war.
»Dieser Saladin ist Ihnen doch als normaler Mensch erschienen. Oder sehe ich das falsch?«
Meine Frage hatte den Arzt wirklich überrascht. Er schaute mich aus großen Augen an. »Wie… wie … haben Sie das denn gemeint, Monsieur Sinclair?«
»So wie ich es gesagt habe.«
»Ja, er kam als Mensch. Als Sieger.«
»Wieso?«
»Das Gefühl hatte ich, als er das Büro betrat. Er ging über die Schwelle, und dann habe ich gedacht, dass ich überhaupt nicht mehr vorhanden wäre. Er hat alles eingenommen.«
»Wie eingenommen?«
Der Arzt breitete die Arme aus. »Er war überall. Er stand da, aber es kam mir vor, als hätte er den gesamten Raum hier ausgefüllt. Er beherrschte
Weitere Kostenlose Bücher