1341 - Die Wiege des Kretins
alles.«
»Auch Sie?«
Dr. Muhani schaute mich an. Er gab sich verlegen und knetete seine Hände.
»Ja, auch mich. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich war plötzlich… nun ja, es war sein Bann. Ich lebte zwar weiter, aber nicht mehr so wie ich es gewohnt war, glaube ich. Mir fehlt eine gewisse Zeitspanne in der Erinnerung.«
»Hat Saladin mit Ihnen auch über seine weiteren Pläne gesprochen? Ist er konkret geworden?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht. »Ich kann es nicht genau sagen«, flüsterte er. »Ich weiß nicht, was mit mir passiert ist, als ich unter seinem Bann stand. Und der wird wiederkehren, das glaube ich bestimmt. Alles muss so laufen, wie er es sich vorgestellt hat, und ich kann mich nicht wehren.«
Für mich stand fest, dass mir Dr. Muhani die Wahrheit gesagt hatte. Diese Symptome waren mir nicht unbekannt. Ich hatte sie schon bei den Studenten erlebt, die Saladin als erste Personen mit seinem Bann belegt hatte und die manchmal wie Zombies durch die Gegend gelaufen waren, wenn sie das Codewort vernommen hatten.
Ich wusste auch, dass der Arzt zu einem Problem geworden war.
Einer wie er, der sich um das Wohl der Kranken kümmern musste, stand unter der Kontrolle des Hypnotiseurs!
So etwas durfte nicht sein. Das musste ich ändern. Ich konnte nicht einfach aus dem Zimmer gehen und so tun, als wäre nichts.
Wenn der Arzt den Kontakt bekam und in Saladins Bann geriet, dann war alles aus. Dann konnte er herumlaufen und die Station hier in eine Hölle aus Blut, Tränen und Tod verwandeln.
Das musste verhindert werden, sonst hätte ich nichts erfahren.
Ich sah auch das Fazit des Ganzen mit sehr nüchternen Augen. Es gab Saladin noch in dieser Gegend. Deshalb ging ich auch davon aus, dass es Vincent van Akkeren ebenfalls gab. Dieses teuflische Paar war nicht so leicht aus der Welt zu schaffen. Es stellte sich die Frage, ob es den Templern jemals gelingen würde, einen Gegenpol zu diesem Duo zu schaffen. Wie es jetzt aussah, bestimmt nicht. Da konnte ich nur mit kleinen Schritten vorgehen.
Dr. Muhani hatte mich beobachtet. Obwohl ich sehr ruhig geblieben war, überkam ihn eine gewisse Unruhe. Sie zeigte sich darin, dass er auf seinem Sitz hin und her rutschte.
»Was denken Sie jetzt, Monsieur Sinclair? Oder worüber denken Sie nach?«
»Eigentlich über Sie!«
Er setzte sich steif hin. »Das hatte ich mir gedacht. Ich konnte es Ihnen ansehen.«
»Grundlos habe ich nicht über Sie nachgedacht«, erklärte ich. »Es gibt da schon ein Problem.«
»Ich.«
Ich lächelte etwas schmallippig. »Nicht nur Sie allein, Doktor. Dazu gehört auch Saladin.«
»Ja, das habe ich mir gedacht. Und wie, bitte sehr, wollen Sie das Problem lösen?«
»Mit Ihrer Hilfe.«
Die letzte Antwort hatte ihm nicht gefallen. Er schloss für einen Moment die Augen.
Bevor er etwas sagen konnte, übernahm ich wieder das Wort. »Es ist mein Problem. Ich muss versuchen, Sie von Saladin zu lösen. Sie müssen wieder Sie selbst werden. Es darf nicht sein, dass ein derartiger Mensch Sie unter seiner Kontrolle hält. Sie würden eine Gefahr für das Krankenhaus sein. Tut mir Leid, aber so deutlich muss ich Ihnen das leider sagen, Doktor.«
Er suchte nach einer Antwort. Ich hoffte, dass er es begriffen hatte und sich auch kooperativ zeigte.
»Was werden Sie denn tun?«
»Ich habe zwar kein Allheilmittel zur Hand, doch ich werde auf die Kraft des Kreuzes setzen, das…«
Ich sprach nicht zu Ende, weil ich durch die Reaktion des Arztes abgelenkt wurde.
Er verlor seine normale Haltung. Plötzlich saß er so starr auf seinem Stuhl, als hätte er einen Pflock verschluckt. Seine Augen bewegten sich nicht mehr. Die Pupillen waren verdreht, und sie blieben auch so. Überraschend verließ ein Fluch seinen Mund, und zugleich verzerrte sich sein Gesicht.
Für mich stand fest, was da passiert war. Saladin musste erfahren haben, wie es um ihn stand. Er hatte auf telepathischem Weg Kontakt mit ihm aufgenommen und ihm wahrscheinlich das Codewort ins Gehirn gebrannt, das ihn zu einem Mr. Hyde werden ließ.
Mit einer heftigen Bewegung stand der Arzt auf. Sein Gesicht hatte sich in eine böse Fratze verwandelt. Er senkte den Kopf, schaute mich an und flüsterte: »Jetzt bringe ich dich um!«
***
Eine weitere Bestätigung brauchte ich nicht mehr, um zu wissen, dass er zu seiner Zweitpersönlichkeit geworden war. Und die stand im krassen Gegensatz zu seiner wirklichen Existenz. So war der letzte Satz nicht nur
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