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1350 - Im Wald der toten Gesichter

1350 - Im Wald der toten Gesichter

Titel: 1350 - Im Wald der toten Gesichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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nicht zurecht. Der Wirt war ihr plötzlich so fremd geworden. Er interessierte sich für nichts anderes mehr als dafür, aus dem Lokal herauszukommen.
    Dann erreichte er die Tür. Er hätte sie jetzt öffnen müssen. Es war eine Kleinigkeit, aber er fand die Klinke nicht. Seine Hand fasste ins Leere.
    Lucy hörte einen dumpfen Aufprall, als er gegen die Tür prallte.
    Er sackte dabei zusammen, und das war der Moment, in dem sie startete.
    Lucy konnte es einfach nicht mehr verantworten, ihren Chef allein zu lassen. Jetzt musste etwas passieren, und sie wollte ihn zudem nicht vom Boden hochwuchten.
    Lucy war schnell genug. Bevor der Wirt zusammenbrach, hatte sie ihn erreicht und stützte ihn ab. Er hing in ihrem Griff. Sie hörte ihn stöhnen, und sie wusste genau, was sie zu tun hatte. Hier weiterhin in der Kneipe zu sein, das war Gift für ihn, und deshalb zerrte sie die Tür auf, um ihm ins Freie zu helfen.
    Packard war froh, sich auf seine Mitarbeiterin abstützen zu können. Nur so kam er weiter und endlich an die frische Luft.
    Sie erwischte wie ein kalter Schauer sein Gesicht. Tief konnte er einatmen.
    Lucy stellte fest, dass es der zitternden Gestalt jetzt besser ging.
    Zumindest war das Gesicht nicht mehr so verzerrt. Packard atmete sehr tief ein. Die dabei entstehenden Geräusche hörten sich an, als würde er in der Kehle singen. Seine Augen waren verdreht. Er flüsterte etwas vor sich hin, was Lucy nicht verstand.
    »He, was hast du denn?«
    »Steif…«
    »B… bitte?«
    »Ich bin so steif geworden. Und es wird immer schlimmer. Ich kann mich nicht mehr bewegen oder kaum noch. Meine Beine, weißt du… sie … sie sind so anders geworden. Als wären es Prothesen.«
    Lucy Denning hatte jedes Wort gehört. Darüber lachen konnte sie nicht. Sie spürte plötzlich Angst in sich hochsteigen, die wie eine innere Faust gegen die Kehle drückte. In ihrem Mund lag ein schlechter Geschmack.
    An der Tür stehen bleiben konnten sie nicht. Lucy wollte den Wirt richtig nach draußen schaffen. Sie musste ihn zu einem Arzt bringen, wobei ihr einfiel, dass der einzige Doktor am Morgen weggefahren war. Von ihrem Fenster aus hatte sie ihn gesehen.
    »Kannst du denn überhaupt noch laufen?«, flüsterte sie.
    »Das muss ich.«
    »Gut, wir versuchen es.«
    Er stützte sich wieder auf Lucys Schultern ab. Als sie den ersten Schritt ging, schaute sie automatisch auf die Beine des Wirts. Ja, er ging, aber er bewegte sich so steif, als bestünden seine Füße tatsächlich aus Prothesen. Es war ihm nicht möglich, die Füße anzuheben. Sie schleiften über den Boden hinweg, und Lucy hatte den Eindruck, keinen Menschen zu unterstützen, sondern eine Figur.
    Unter wahnsinnigen Mühen kamen sie voran. Lucy konnte kaum daran glauben, dass sie noch die Straße erreichten. Der nicht sehr breite Gehsteig wurde für sie zu einem fast unüberwindlichen Hindernis.
    Sie gaben trotzdem nicht auf. Auch deshalb nicht, weil Packard es so wollte. Und so führten sie den Kampf weiter, der nichts anderes war als eine einzige Quälerei.
    Sie spürte ihn. Sie hatte den direkten Körperkontakt. Aber sie merkte auch, dass es mit ihm immer schlimmer wurde. In jeder Sekunde, die verstrich, schien er mehr zu versteifen. Und nicht nur an den Beinen, auch sein Oberkörper wurde bewegungsloser.
    Beide erreichten den Rand des Gehsteigs. Lucy wollte Packard noch warnen, es war jedoch zu spät. Er trat falsch auf, bekam dadurch das Übergewicht und fiel nach vorn.
    Der Mann war schwer. Lucy machte es zwar nichts aus, Lasten zu tragen, doch Packards Gewicht überstieg auch ihre Kräfte. Er rutschte ihr aus dem Griff und landete auf der Straße.
    Dort blieb er steif liegen.
    Lucy Denning sah nicht, was um sie herum passierte. Sie hatte nur Augen für den Mann, der vor ihr lag. Er war nicht auf den Bauch gefallen. Irgendein Zufall hatte ihn so gedreht, dass er auf der Seite lag und sie sein Gesicht sehen konnte.
    Lucy konnte einfach nicht wegschauen. Was sie entdeckte, machte ihr Angst. So wie Slim Packard aussah, erinnerte er sie an einen Toten. War er etwa gestorben, ohne dass sie es bemerkt hatte? Womöglich noch in ihren Armen?
    Lucy hätte schreien können. Diese Vorstellung war für sie einfach zu grauenhaft. Aber sie schrie nicht, sie schaute nur auf Packard.
    Der bewegte sich noch immer nicht. Er lag völlig starr vor ihr.
    Lucy fasste sich ein Herz und berührte ihn. Sie strich mit ihren Fingern über das Gesicht des Mannes hinweg. Sie wollte zudem erfahren,

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