1350 - Im Wald der toten Gesichter
versuchte es zumindest und stellte die üblichen Fragen schnell hintereinander.
Man schaute sich an. Niemand traute sich, eine Antwort zu geben, und so bestimmte ich schließlich einen.
»Sie, bitte!«
Es war ein älterer Mann, der zur Seite schaute. Aber er sprach, und das war schon ein Vorteil.
»Keiner von uns hat viel gesehen. Ich bekam nur mit, dass Lucy Denning mit dem Wirt des Pubs auf die Straße kam. Beide gingen nicht normal, und Lucy musste ihn stützen. Dann brach er schließlich zusammen. Mehr wissen wir nicht.«
Ich deutete auf die Leiche. »Er ist tot. Aber er ist nicht normal gestorben. Ich will ehrlich zu Ihnen sein, dieser Mann ist, auch wenn es noch so unwahrscheinlich klingt, innerlich verholzt.«
Ich hatte ihnen bewusst die Wahrheit gesagt. Oft ist eine Schocktherapie die beste überhaupt, und auch hier schien meine Antwort zu wirken. Aber die Menschen waren nicht so geschockt, wie ich es mir vorgestellt hatte. Sie wirkten nicht mal durcheinander und taten fast so, als hätten sie es geahnt und nun die Bestätigung bekommen.
»Sie wissen, was das bedeutet?«, fragte ich.
»Nein«, antwortete eine Frau.
Ich wies auf den Toten. »So etwas passiert nicht von allein. Da muss es einen Grund geben, und ich denke, dass ich ihn auch kenne. Er existiert hier in Braming, und ich glaube, dass auch Sie ihn kennen, denn er hat einen Namen.«
Keiner sagte etwas. Die Menschen dachten nach. Allerdings glaubte ich nicht daran, dass sie sich erst großartig mit bestimmten Tatsachen auseinander setzten mussten. Sie wussten schon Bescheid. Nur traute sich niemand, mit der Sprache herauszurücken.
Deshalb sprach ich den Namen aus. »Korbinian!«
Wieder erhielt ich keine Antwort. Einige senkten ihre Blicke. Ich sah Zungen, die über Lippen leckten. Ich sah die Bewegungen der Hände, als sie an Haaren entlangstrichen und so manches Zucken der oft verkniffenen Mundwinkel.
»Warum sagen Sie nichts?«
»Er gehört nicht zu uns!«
Ich schaute den Mann an, der mir diese Worte gesagt hatte. Er war etwa in meinem Alter und trug einen dichten Vollbart. In seinen Augen las ich eine gewisse Abwehr. Aber ich war froh, überhaupt eine Antwort bekommen zu haben.
»Ich kann mir denken, dass er nicht zu euch gehört«, erklärte ich.
»Nur will es mir nicht in den Kopf, dass Sie sich hier so stumm stellen. Dieser Korbinian ist bestimmt nicht Ihr Freund. Wir sind gekommen, um ihm einige Fragen zu stellen, denn wir halten ihn für einen gefährlichen Mörder.« Ich winkte dem Mann zu, der mir die Antwort gegeben hatte, und sagte: »Kommen Sie bitte mit.«
Gemeinsam traten wir an das Heck des BMWs heran. Ich öffnete die Haube des Kofferraums, sodass er einen Blick auf die Leiche werfen konnte.
»Dort liegt ein Toter. Er sieht verdammt nicht gut aus, das weiß ich. Jetzt möchte ich wissen, ob Sie ihn kennen. Stammt er hier aus Braming?«
Der Zeuge rührte sich nicht. Sein Gesicht war blutleer geworden, so sehr hatte ihn der Anblick mitgenommen. Er wollte den Toten nicht mehr anschauen und drehte sich zur Seite.
Ich klappte den Deckel wieder zu. Dann legte ich dem Mann eine Hand auf die Schulter. »Kennen Sie ihn oder kennen Sie ihn nicht?«
»Ich kenne ihn.«
»Und weiter?«
Der Mann drehte sich schwerfällig um. Sein Gesicht zeigte einen dünnen Schweißfilm. »Ich kenne ihn«, wiederholte er. »Er heißt Phil Truman, aber er ist nicht von hier. Er hat hier öfter gewohnt. Er war wohl von einer Umweltbehörde, um hier Forschungen vorzunehmen.«
»Dann ist er auch oft im Wald gewesen, denke ich mir.«
»Klar.«
»Und er kannte auch Korbinian?«
»Davon muss man ausgehen.«
»Danke, das war eine gute Antwort. Jetzt möchte ich nur noch wissen, wo wir diesen Korbinian finden können. Er lebt schließlich hier bei Ihnen.«
»Am Ende des Dorfes müssen Sie nach rechts fahren und den Weg über die Wiese nehmen. Sein Haus steht dort. Es sieht aus wie eine Blockhütte. Er wohnt dort und hat dort auch seine Werkstatt.«
»Werkstatt?«
»Ja, er ist Schnitzer.«
»Aha, so sieht es aus. Was schnitzt er denn?«
Der Mann hob die Schultern. »Was soll ich sagen? Alles Mögliche.«
»Ist er auch in den Wald gegangen und hat dort seine Zeichen hinterlassen?«
»Das ist so.«
»Sie sind sicher?«
»Bin ich.«
»Kennen Sie den Grund?«
Er zuckte mit den Schultern. Ich wusste nicht, ob er es ernst meinte oder versuchte, mich anzuschwindeln.
»Bitte, Mister…«
»Egham.«
»Gut, Mr. Egham. Dieser Korbinian ist
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