1357 - Nach dem Holocaust
Zeichensprache, die diese Wesen beherrschten, zeigte er Sue-El, daß sie die schmerzenden Muskeln mit den Blättern einreiben sollte. Sie versuchte es, war aber noch zu unbeweglich. Der Pelzige nahm die Sache kurzerhand selbst in die Hand und deckte Sue-El anschließend zu. Dann zog er sich zurück.
Die junge Kartanin versuchte zu schlafen, aber sie war zu aufgewühlt und zu verzweifelt, als daß sie Ruhe gefunden hätte. Sie spürte, wie die Schmerzen in ihren Beinen nachließen. Der Pelzige hatte die Blätter dagelassen. Sie nahm das ganze Bündel und rieb damit über ihre Haut, und es ging ihr allmählich besser.
Spät in der Nacht tappte sie hinaus, um Wasser zu trinken. Sie stolperte fast über eine kleine Gestalt, die vor ihrer Tür hockte. Im ersten Augenblick war sie ärgerlich, aber da sprang der Pelzige schon davon, und einen Moment später kehrte er mit einer besonders saftigen Frucht zurück, die wie er per Zeichensprache behauptete - den Durst besser löschte, als reines Wasser es zu tun vermochte. „Ihr seid gar keine Tiere, nicht wahr?" fragte Sue-El, während sie langsam an der Frucht herumknabberte. „Ihr seid vielleicht nicht sehr intelligent, aber ihr seid möglicherweise auf dem Wege, es zu werden."
Der Pelzige hörte zu, gab aber keine Antwort. Sue-El fragte sich, ob das Wesen sie überhaupt verstehen konnte, aber das war ihr nicht besonders wichtig. Selbst wenn der Pelzige es nicht vermochte, ihre Worte zu interpretieren, so verstand er doch den Sinn dessen, was sie sagte, und er bemerkte, daß Sue-El diesmal nicht ärgerlich oder ablehnend war. Das schien ihn zu freuen. Er streckte die rechte Hand aus und berührte ihr Gesicht. Sie wäre trotz allem fast zurückgezuckt, beherrschte sich jedoch im letzten Moment. Der Pelzige gurrte freundlich und streichelte den Kopf der jungen Kartanin.
Sue-El war kein Kind mehr. Kartanin reifen sehr schnell heran. Ihre Kindheit hatte im Grunde genommen nur wenige Jahre gedauert, und seitdem sie in der Esper-Schule war, erwartete man von ihr, daß sie sich wie eine Erwachsene benahm. Sie hatte gelernt, ihre Gefühle im Zaum zu halten. Aber jetzt, vor der Tür zu ihrer Kammer, stieg aller Kummer der letzten Zeit in ihr auf.
Das pelzige Wesen blieb bei ihr, streichelte ihren Kopf und legte die Arme um sie, beschützte sie vor der Nacht und den Gefahren, die in der Dunkelheit lauerten, während Sue-El in dünnen, klagenden Lauten weinte.
Am nächsten Morgen war der Pelzige verschwunden. Seine Artgenossen hoppelten auf ihre unbeholfene Weise herum und versorgten die Kranken, die sich nicht selbst behelfen konnten. Die anderen waren draußen und holten sich ihr Frühstück.
Sue-El fühlte sich wie zerschlagen. Zum erstenmal in ihrem Leben hatte sie auf dem blanken Boden geschlafen, und sie schämte sich, weü sie geweint hatte. Aber da niemand in der Nähe war, der sie wegen dieser Schwäche verspotten konnte, kam sie ziemlich schnell darüber hinweg. Sie besorgte sich Wasser und ein paar Nüsse, und danach zog sie sich in ihre Kammer zurück, denn sie war noch immer etwas wackelig auf den Beinen.
Später am Tag vernahm sie wieder dieses Singen und Rauschen, aber sie verspürte keine Lust, hinauszugehen und nachzusehen. Sie nahm an, daß es wieder diese Mamositu waren - wahrscheinlich eine andere Gruppe, die noch nicht wußte, daß es in der ehemaligen Schule der Esper nichts zu holen gab. Wenn niemand kam, um mit ihnen zu verhandeln, würden sie von selbst verschwinden. Sue-El hoffte es wenigstens.
Den Geräuschen nach landete das fremde Schiff auf der Lichtung, und Sue-El hörte die aufgeregten Stimmen der Kranken. Als es immer lauter wurde und die Fremden noch immer keine Anstalten trafen, zu verschwinden, ging sie schließlich doch hinaus.
Als sie aus der Tür ihrer Kammer trat, taumelte ihr Lia-Gan-L'agyr entgegen. Die junge Kartanin heulte laut vor Schmerzen. Ihre Kleidung bestand ohnehin nur noch aus Fetzen, aber jetzt war das ganze Oberteil abgerissen und hing hinten herunter, und als Lia-Gan an Sue-El vorbeitorkelte, sah Sue-El-K'yon auf dem Rücken ihrer ehemaligen Zimmergenossin einen Streifen, der geschwollen und bläulich verfärbt war.
Sie hielt Lia-Gan am Arm fest. „Was ist passiert?" fragte sie.
Lia-Gan starrte sie aus blutunterlaufenen Augen an, heulte plötzlich abermals laut auf und riß sich los.
Eine andere Kranke kam von draußen herein, raste wie von Furien gehetzt an Sue-El vorbei und verkroch sich in irgendeinem Winkel. Von
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