1397 - Der Vampir und die Wölfe
mich schon zu wehren wissen.«
Der Vampir legte den Kopf zurück. Er schleuderte sein kehliges Lachen gegen den Nachthimmel. »Womit willst du dich wehren? Verdammt, du hast keine Waffe, die mir gefährlich werden könnte. Willst du deinen Pfahl ziehen und ihn auf mich schleudern?«
»Nein, Will, ich habe etwas anderes vor.«
»He, ich bin gespannt. Was denn?«
»Das hier!« Marek hob die Beretta an, wobei die Mündung gegen den Himmel zeigte.
»Damit…?« Das Staunen konnte der Vampir nicht unterdrücken.
»Das ist doch lächerlich.«
»Wenn du meinst…«
Eine Sekunde später senkte Marek die Waffe.
Da schoss er!
***
Happy new Year!
So heißt es in der Nacht von Silvester auf den ersten Januar bei vielen Menschen. Aber was würde das für ein Jahr werden. Es fing mit dem an, womit das alte aufgehört hatte. Mit dieser grauenvollen Flutkatastrophe, die alles andere in den Schatten stellte.
Eine zweite Sintflut. Sie war über die Küsten Südostasiens hereingebrochen, als hätte der Teufel sie selbst geführt, um zu zeigen, dass er noch vorhanden war und man mit ihm rechnen musste.
Es war unbeschreiblich. Es war so grauenhaft. Über 100.000 Tote, das wollte den meisten Menschen nicht in die Köpfe. Die Medien überschwemmten uns mit den Szenarien des Schreckens, und auch an mir waren die Bilder nicht spurlos vorbeigegangen.
Wir hatten uns eine tolle Silvesterfeier ausgedacht. Die Conollys hatten eingeladen. Shao und Suko waren gekommen, Jane Collins ebenfalls, und auch Glenda Perkins hatte nichts in ihrer Wohnung gehalten. So waren wir praktisch wie eine Familie, die sich um den Kamin versammelte, nachdem wir ein schmackhaftes Essen hinter uns hatten.
Sheila hatte von einem Feinkosthändler Salate in verschiedenen Variationen und Zubereitungsarten kommen lassen. Es wurde auch edler Fisch gegessen, aber auch einfach Dinge wie Herings- und Matjessalat, die mir besonders gut schmeckten.
Im Normalfall schon, aber hier war nichts mehr normal. Das hing nicht nur mit der Katastrophe in Asien zusammen, es hatte auch etwas mit meinem Schicksal oder mehr mit der Vergangenheit meines Vaters zu tun, denn ich hatte erfahren müssen, dass ich eine Halbschwester namens Lucy hatte. Eine Frau, mit der ich konfrontiert worden war, die aber nicht den Weg gegangen war wie ich.
Sie hatte sich auf die Seite eines Geheimbundes geschlagen, zu den Illuminati, zu denen früher auch mein alter Herr gehört hatte.
Sie waren vor einigen Jahrhunderten entstanden und nannten sich die Erleuchteten . Sie standen im krassen Gegensatz zu den damaligen Lehren der Kirche, und sie wollten nicht nur den Geheimnissen der Natur auf den Grund gehen, sondern auch die metaphysischen Rätsel lösen, und so beschäftigten sie sich mit den Apokryphen, den Legenden der Religionen, und hatten unter anderem das Ziel gehabt, die Lanze zu finden, die man Jesus am Kreuz in die Seite gestoßen hat.
Wie weit mein Vater darin involviert gewesen war, wusste ich nicht. Jedenfalls gehörte er zu den Geheimnisträgern, und er hatte eine Spur hinterlassen, auf die man mich aufmerksam gemacht hatte. Im Keller des niedergebrannten Elternhauses hatte ich einen Hinweis auf das Versteck der Lanze gefunden.
Und meine Halbschwester Lucy war dabei gewesen. Wir hatten die Lanze auch gefunden oder gesehen, aber nicht mehr in unserer Dimension. Da hatten wir vor einem Tor gestanden, durch das ich allerdings nicht getreten war, um die Lanze zu holen.
Lucy Sinclair hatte es getan. Sie war in ihrem Wahn nicht mehr zu stoppen gewesen.
Jetzt gab es sie nicht mehr.
Sie war vergangen, verbrannt, zerschmolzen, und ich würde nie mehr von ihr hören.
Ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen sollte. Im Prinzip nicht, auch wenn sie nicht auf meiner Seite gestanden hatte. Sie hätte mir aber vielleicht mehr über die Vergangenheit meines Vaters erzählen können, die beileibe nicht so normal gewesen war, wie man bei seinem Beruf – Anwalt – hätte denken können. Es hatte bei ihm schon einige Geheimnisse gegeben, in die auch meine Mutter nicht eingeweiht gewesen war, sonst hätte sie mir davon berichtet, denn das Vertrauensverhältnis zwischen uns war sehr stark gewesen.
Was würde noch auf mich zukommen? Was würde das nächste Jahr bringen?
Keiner wusste es, ich natürlich auch nicht. Aber mit großem Optimismus schaute ich nicht in die nächsten zwölf Monate. Es konnte sein, dass ich noch mehr Überraschungen erlebte, was das Leben meines Vaters betraf.
Aber
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