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14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul

14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul

Titel: 14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Särgen beladenen Maultiere blieben bepackt, zum Zeichen, daß der Aufenthalt nur ein vorübergehender sein werde. Nach ihnen zog sich der lange, unabsehbare Zug wie eine Schnecke herbei, welche in gerader Richtung über den Boden kriecht. Es waren braune, von der Sonnenglut eingedörrte Gestalten, die in müder Haltung auf ihren Tieren hingen oder mit abgematteten Füßen sich über den Boden schoben; aber in ihren dunklen Augen glühte der Fanatismus, und unbeirrt durch die zahlreich anwesenden Zuschauer sangen sie ihren monotonen Pilgergesang:
    „Allah, hesti dschihandar,
Allah, hestem asman pejwend,
Hosseïn, hesti chun alud,
Hosseïn, hestem eschk riz!“
    (Persisch zu deutsch: Allah: du bist weltbesitzend,
Allah, ich bin den Himmel erreichend.
Hosseïn, du bist blutbespritzt,
Hosseïn, ich bin Tränen vergießend.)
    Wir hatten uns so nahe an die Pilger herangemacht, daß wir unmittelbar bei ihnen hielten; aber je mehr ihrer herbei kamen, desto infernalischer wurde der Gestank, so daß Halef einen Zipfel seines Turbantuches löste, um damit die Nase zu verschließen. Einer der Perser bemerkte dies und trat herzu.
    „Sak – Hund“, rief er, „warum verhüllst du dir die Nase?“
    Da Halef das Persische nicht verstand, so übernahm ich die Antwort:
    „Glaubst du, die Ausdünstung dieser Leichen sei ein Geruch des Paradieses?“
    Er sah mich verächtlich von der Seite an und meinte:
    „Weißt du nicht, wie der Koran sagt? Er sagt, daß die Gebeine der Gläubigen duften nach Amber, Gul, Semen, Musch, Naschew und Nardjin (Ambra, Rosen, Jasmin, Moschus, Wacholder und Lavendel).“
    „Diese Worte stehen nicht im Koran, sondern in Ferid Eddin Attars Pendnameh; merke dir das! Warum übrigens habt ihr euch denn selbst die Nase und den Mund verhüllt?“
    „Das sind die anderen, aber nicht ich!“
    „So beklage dich zunächst über die Deinen, und dann erst magst du zu uns kommen! Jetzt haben wir nichts mit dir zu schaffen!“
    „Mann, deine Rede ist stolz! Du bist ein Sunnit. Ihr habt Herzeleid gebracht über den echten Kalifen und seine Söhne. Allah verdamme euch bis in die finsterste Tiefe der Hölle hinein!“
    Er wendete sich mit einer drohenden Handbewegung von uns ab, und ich hatte nun gleich ein Beispiel des unversöhnlichen Hasses, welcher – je länger, desto heller – zwischen Suna und Schia lodert. Dieser Mann wagte es, uns in der unmittelbaren Nähe einer Bevölkerung von Tausenden von Sunniten zu beschimpfen; wie mußte es einem Mann ergehen, den man in Kerbela oder Nedschef Ali als Nichtschiit entdeckte!
    Ich hätte gern gewartet, bis das Ende des endlos scheinenden Zuges gekommen wäre, doch die Vorsicht trieb mich von dannen. Ich hatte mir vorgenommen, falls die Hindernisse nicht ganz unüberwindlich seien, bis nach Kerbela zu gehen, und da war es nicht geraten, mich hier unter Sunniten zur Schau zu stellen. Meine Person konnte sehr leicht irgendeinem auffällig werden, der mich später wieder erkannte. Daher ritten wir bald zurück. Der Engländer war gern einverstanden; er behauptete, den Geruch nicht länger aushalten zu können, und auch der sonst so tapfere Hadschi Halef Omar ergriff die Flucht vor den mephitischen Dünsten, welche den Lagerplatz der Perser unausstehlich machten.
    Zu Hause angekommen, erfuhr ich von Hassan Ardschir-Mirza, daß er sich der Karawane nicht anschließen, sondern ihr erst morgen folgen werde. Er hatte diesen Entschluß bereits Mirza Selim Agha mitgeteilt, und dieser war dann ausgegangen, um gleichfalls die persische Karawane ankommen zu sehen.
    Ich weiß nicht, warum dieser Gang des Agha mir verdächtig erscheinen wollte. Daß er die Absicht hegte, die Karawane in Augenschein zu nehmen, konnte ja doch gar nichts Beunruhigendes an sich haben; aber dennoch war es, als ob sich eine Art dunkler Besorgnis in mir regte. Sogar als wir uns zur Ruhe begaben, war der Mann noch nicht zurück. Auch Halef fehlte; er war nach dem Abendbrot in den Garten gegangen und noch nicht heimgekehrt. Erst gegen Mitternacht vernahm ich leise Schritte, welche an unserer Tür vorüberschlichen, und ungefähr zehn Minuten später wurde dieselbe fast unhörbar geöffnet, und es nahte sich jemand der Stelle, an der ich lag.
    „Wer ist da?“ fragte ich halblaut.
    „Ich, Sihdi“, hörte ich Halefs Stimme. „Steh auf, und komm mit mir!“
    „Wohin denn?“
    „Still jetzt! Es könnte uns jemand belauschen.“
    „Soll ich Waffen mitnehmen?“
    „Nur die kleinen.“
    Ich steckte das

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