14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
wenden; aber erst am fünften Muharrem vernahmen wir die Kunde, daß sich die eigentliche Todeskarawane der Stadt nähere. Sofort stieg ich mit dem Engländer und meinem kleinen Halef zu Pferd, um den Anblick dieses Schauspiels zu genießen.
Genießen? – Nun, dieser Genuß war freilich ein höchst zweifelhafter! Der Schiit glaubt, daß ein jeder Moslem, dessen Leiche in Kerbela oder Nedschef Ali begraben wird, ohne alle weiteren Hindernisse sofort in das Paradies komme. Darum ist es der heißeste Wunsch eines jeden, an einem dieser Orte begraben zu sein. Da der Transport der Leichen per Karawane ein sehr kostspieliger ist, so kann er nur von den Reichen ermöglicht werden; der Arme aber, wenn er an so heiliger Stelle begraben sein will, nimmt Abschied von den Seinen und bettelt sich durch weite Länderstrecken bis zu der Grabstelle Alis oder Hosseïns, um dort seinen Tod zu erwarten.
Jahr für Jahr schlagen Hunderttausende von Pilgern den Weg nach jenen Stätten ein, aber diese Zuzüge sind am stärksten, wenn der zehnte Muharrem, der Todestag Hosseïns, naht. Dann steigen die Leichenkarawanen der schiitischen Perser, Afghanen, Beludschen, Indier usw. vom iranischen Tafelland herab; von allen Seiten werden Tote hergeschleppt, und sogar auf Schiffen führt man sie auf dem Euphrat herbei. Die Leichen liegen oft schon monatelang vor dem Aufbruch bereit; der Weg der Karawane ist ein weiter und höchst langsamer; die Hitze des Südens brütet mit fürchterlicher Glut auf die Strecke hernieder, welche durchzogen werden muß, und so gehört keine übermäßige Anstrengung der Phantasie dazu, sich den entsetzlichen Geruch zu denken, den eine solche Karawane verbreitet. Die Toten liegen in leichten Särgen, welche in der Hitze zerspringen, oder sie sind in Filzdecken gehüllt, die von den Produkten der Verwesung zerstört oder doch durchdrungen werden; und so ist es denn kein Wunder, daß das hohläugige Gespenst der Pest auf hagerem Klepper jenen Todeszügen auf dem Fuß folgt. Wer ihnen begegnet, weicht weit zur Seite aus, und nur der Schakal und der Beduine schleichen herbei: der eine, angezogen von dem Geruch der Verwesung, und der andere, herbeigelockt von den Schätzen, welche die Karawane mit sich führt, um sie am Ende der Wallfahrt den Händen der Grabeshüter zu übergeben. Diamantenbesetzte Gefäße, perlenbesäte Stoffe, kostbare Waffen und Geräte, gewaltige Mengen voll wichtiger Goldstücke, unschätzbare Amulette etc. werden nach Kerbela und Nedschef Ali gebracht, wo sie in den unterirdischen Schatzkellern verschwinden. Diese Schätze werden, um die beduinischen Räuber zu täuschen, in sargähnlicher Verpackung verborgen, aber die Erfahrung hat die unternehmenden arabischen Stämme gelehrt, diese Vorsicht unnütz zu machen. Sie öffnen bei einem Überfall sämtliche Särge und kommen so ganz sicher zu den Schätzen, welche sie suchen. Der Kampfplatz bietet danach ein wüstes Bild von gefällten Tieren, getöteten Menschen, zerstreuten Leichenresten und zerschmetterten Sargtrümmern, und der einsame Wanderer lenkt sein Pferd von Ihnen ab, um dem Hauch der Pest und Ansteckung zu entgehen.
Es versteht sich ganz von selbst, daß die Todeskarawane während ihrer Reise keine eng bewohnte Stadt berühren darf. Früher durfte sie ihren Weg mitten durch Bagdad nehmen. Sie zog durch Schedt Omer, das östliche Tor, ein; kaum jedoch hatte sie im Westen die Stadt verlassen, so verbreitete sich der Pesthauch über die Kalifenstadt; die Seuche begann zu wüten, und Tausende fielen der mohammedanischen Gleichgültigkeit zum Opfer, die sich mit dem schlechten Trost behilft, daß ‚alles im Buche verzeichnet stehe‘. In neuerer Zeit ist das anders geworden, und besonders hat der so viel bewunderte und ebensoviel angefochtene Midhat Pascha unter den alten Vorurteilen und Herkömmlichkeiten aufgeräumt. Die Leichenkarawane darf jetzt nur die nördliche Grenze des Stadtbezirkes berühren, um dann auf der oberen Schiffbrücke über den Tigris zu gehen. Und dort war es, wo wir sie trafen.
Ein unerträglicher Pesthauch wehte uns entgegen, als wir uns der Stelle näherten. Der Kopf des langen Zuges war bereits angekommen und traf Anstalt, sich zu lagern. Eine hohe Fahne mit dem persischen Wappen (ein Löwe mit der hinter ihm aufsteigenden Sonne) war in die Erde gesteckt; sie sollte den Mittelpunkt des Lagers bilden. Die Fußgänger saßen auf der Erde; die Reiter hatten ihre Pferde und Kamele verlassen; aber die mit den
Weitere Kostenlose Bücher