14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
zunächst in sitzende Stellung zu erheben. Kein Fältchen meines Gewandes durfte knittern oder rauschen, und ich mußte meine Augen schließen, damit er aus der Stellung derselben nicht auch die Stellung meines Körpers erraten konnte. Denn grad so, wie ich seine Augen sehen konnte, vermochte er ja auch die meinigen zu erkennen.
Es gelang, und nach langer, langer Anstrengung kam ich auch auf die Füße zu kauern. Ich schloß die Augen jetzt nur halb, um einen seiner Blicke zu erhaschen. Jetzt sah er nach mir herüber – und kaum hatte er die Lider geschlossen, so stieß er einen Schrei aus: mein rechtes Knie lag auf seiner Kehle, und mein linkes auf seiner Brust. Er fuhr in augenblicklicher Angst mit den beiden Händen nach dem Hals, um diesen frei zu machen, und das gab mir Raum und Gelegenheit, mit den zusammengebundenen Händen an seinen Gürtel zu kommen. Ich tastete den Griff eines Messers und zog es heraus. Er fühlte das und erkannte die Gefahr, in der er sich befand. Mit einem gewaltigen Ruck warf er mich ab und sprang auf.
Unter dem Ruf: „Hund, du entkommst mir nicht!“ griff er nach mir.
Aber nur sein äußerster Finger streifte mich. Ich wußte jetzt, daß er einen Augenblick später genau da zugreifen werde, wo sein Finger mich gefühlt hatte; ich bückte mich, schnellte mich zur Seite und dann hinter ihm hinum.
„Ah, fort! Giaur, wo bist du? Mir entkommst du nicht!“
Jetzt nun, da er mich nach der andern Seite hin vermutete, konnte ich den Schnitt tun, welcher meine Füße frei machte; sodann schlich ich mich mehrere Schritte weiter fort. Es war gelungen, und ich holte tief, tief Atem. Aber was nun? Zunächst nur aus seiner Nähe, um zu überlegen!
Ich huschte eine ganze Strecke weiter fort und lehnte mich dann an die Mauer. Was sollte ich jetzt tun? Immer tiefer in den Gang hineinlaufen? Der Kodscha Pascha hatte ja von der großen Gefährlichkeit dieser Gänge gesprochen! Oder kurzweg mit dem Menschen ringen, um ihn zu überwältigen und zu zwingen, mir den richtigen Weg zu zeigen? Nein. Er hatte Schußwaffen; ich hätte ihn nicht überwältigen können, ohne ihn zu töten; und seine Leiche konnte mir ja nicht als Wegweiser dienen.
Es waren höchst unheimliche Minuten. Auch er beobachtete die größte Geräuschlosigkeit. Blieb er stehen? Kam er auf mich zu oder von mir ab? Er konnte jeden Augenblick auf mich stoßen. Ah pah, diese unterirdischen Gänge konnten ja nicht von einer gar so großen Ausdehnung sein! Ich tastete mich also in der bisher eingehaltenen Richtung weiter fort, den Boden stets erst mit dem Zehenteil der Schuhe sondierend, ehe ich den ganzen Fuß aufsetzte. So mochte ich fast gegen zweihundert kleine Schritte vorwärts gekommen sein, als die Luft feuchter und kühler zu werden schien. Jetzt galt es doppelte Vorsicht! Und wirklich, kaum fünf Schritte weiter hörte der Fußboden auf. Ich ließ mich nieder und tastete umher. Der Rand des Bodens bildete ein großes rundes Loch, welches die ganze Breite des Ganges einnahm. Das war jedenfalls ein Brunnen gewesen. Noch zur Stunde befand sich Wasser darinnen, wie die Feuchtigkeit der Luft bewies. Wer weiß, welche Tiefe er besaß! Wer da hinunterstürzte, kam nimmer wieder empor.
Dem Kreisausschnitt nach mußte die Brunnenöffnung einen Durchmesser von etwa drei Ellen haben. Ich hätte sie also wohl überspringen können, aber ich kannte die Beschaffenheit des gegenüber liegenden Randes nicht. Vielleicht befand sich der Brunnen hart am Ende des Ganges, und drüben war Mauer. Dann mußte der Sprung mein letzter werden.
Nach dieser Seite gab es also keine Rettung für mich; ich mußte umkehren. Das war nun freilich ein schlimmer Umstand! Der Feind schwieg. Lag er noch dort, wo ich ihn verlassen hatte, auf der Lauer, weil er wußte, daß ich gezwungen sei, zurückzukehren? Oder glaubte er noch immer, ich sei nach der anderen Richtung entflohen? Oder war er einfach, um ganz sicher zu gehen, nach dem Ausgang geeilt, um diesen zu besetzen? Wie dem auch sein mochte: stehen bleiben konnte ich nicht. Ich nahm also das Messer zwischen die Zähne, legte mich nieder und kroch auf den Knien und Handballen wieder zurück.
Gehen durfte ich nicht, aber beim Kriechen konnte ich mit den langsam und leise vorantastenden Fingerspitzen den Raum vor mir erst vorsichtig abfühlen, ehe ich den Körper folgen ließ.
So schob ich mich weiter, langsam, sehr langsam zwar, aber doch immer weiter und weiter. Ich hatte nun bereits über zweihundertmal
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