14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
Kadi.
Der Beamte gehorchte, war aber nicht wenig erschrocken, als die Zelle, in welcher Barud gesteckt hatte, leer war. Derjenige Schließer aber, welchem der Gefangene speziell anvertraut war, konnte nicht gefunden werden; er war mit ihm verschwunden.
Der Zorn des Kadi läßt sich gar nicht beschreiben. Dieser würdige Richter erging sich in Ausrufen, für welche die deutsche Sprache keine Worte hat, und ließ schließlich den Oberaufseher selbst einsperren. Ich suchte ihn durch die Mitteilung zu beruhigen, daß wir des anderen Tages früh dem Entkommenen nacheilen würden, und er versprach, uns einige Khawassen mit einem Verhaftsbefehl mitzugeben. Dann verließen wir ihn und brannten vor der Gefängnistür die mitgebrachten Laternen wieder an. Ohne eine solche durfte man sich damals, wenigstens im Inneren der Stadt, nicht antreffen lassen, wenn man nicht riskieren wollte, zur Polizei transportiert zu werden und dort eine Nacht in sehr ‚gemischter Gesellschaft‘ zuzubringen.
Wir waren noch nicht sehr weit gegangen, als wir, um die Ecke eines Hauses biegend, mit einem Mann zusammenstießen, welcher, wie ich damals wirklich glaubte, in großer Eile von der anderen Seite gekommen war. Er rannte an mich an, sprang zurück und rief:
„Atsch gözünü – nimm dich in acht!“
„Das hättest du eher sagen sollen!“ antwortete ich.
„Aman, aman – verzeihe, verzeihe! Ich hatte so große Eile, und dabei ist mir meine Laterne verlöscht. Willst du nicht die Güte haben und mir erlauben, sie an der deinigen wieder anzuzünden?“
„Gern! Hier!“
Er nahm das Licht aus seiner Leuchte, welche aus geöltem Papier gefertigt war, und steckte es an dem unsrigen an. Dabei erklärte er, wie zu seiner weiteren Entschuldigung:
„Ich muß schnell einen Hekim (Arzt), Berber (Barbier) oder Edschzadschy (Apotheker) holen. Es ist uns plötzlich ein Gast krank geworden, welcher fast nur nemtschedsche (Deutsch) redet, weil er aus Nemtschistan ist.“
Das erregte natürlich sofort mein Interesse. Ein Landsmann, hier plötzlich erkrankt und der Sprache des Landes so gut wie unkundig! War es da nicht meine Pflicht, mich wenigstens zu erkundigen? Ich fragte daher:
„Aus welchem deutschen Land ist er?“
„Aus Bavaristan.“
Also ein Bayer! An eine Lüge, eine Täuschung dachte ich nicht im mindesten. Was wußte man hier von Bayern! Der Name dieses Landes konnte, hundert gegen eins gewettet, nur aus dem Munde eines Mannes gehört worden sein, dessen Vaterland es wirklich war. Ich erkundigte mich also weiter:
„Welche Krankheit hat ihn überfallen?“
„Das Sytma sinirün (Nervenfieber).“
In diesem Augenblick fiel mir die Unwahrscheinlichkeit, welche in dieser Antwort lag, gar nicht auf. Ich dachte nur daran, daß ein Deutscher hilfsbedürftig am Fieber niederliege.
„Was ist er?“ fuhr ich fort.
„Ich weiß es nicht. Er kam zu meinem Herrn, welcher Tütündschi (Tabakfabrikant) ist, um Tabak zu kaufen.“
„Wohnt ihr weit von hier?“
„Nein.“
„So führe mich hin!“
„Bist du denn ein Arzt oder ein Apotheker?“
„Nein; aber ich bin ein Deutscher und will sehen, ob ich meinem Landsmann von Nutzen sein kann.“
„Inisch Allah – geb's Gott! Komm, folge mir!“
Mein Begleiter wollte auch mitgehen; ich bat ihn aber, seinen Weg fortzusetzen, da ich ihn ja nicht brauchte. Ich gab ihm die Laterne und folgte dem Fremden.
Wir hatten in Wirklichkeit nicht weit zu gehen. Er hielt bereits nach einigen Minuten vor einer Tür, an welche er klopfte. Es wurde geöffnet, und ich, da ich noch auf der Straße hinter meinem Führer stand, hörte die Frage:
„Hekim buldun my – hast du einen Arzt gefunden?“
„Nein, aber einen Hamscheri (Landsmann) des Kranken.“
„Was kann der uns und ihm nützen?“
„Er kann den Terdschiman (Dolmetscher) machen, da wir den Gast nicht gut verstehen.“
„So mag er eintreten!“
Ich trat in einen engen Flur, welcher in einem kleinen Hof mündete. Das Licht der Papierlaterne erlaubte mir kaum, drei Schritte weit zu sehen. Ich hatte nicht die mindeste Ahnung, daß mir eine Gefahr drohe, und horchte daher ganz erstaunt auf, als ich eine Stimme befehlen hörte:
„Onu tutyn! Gertsche dir – ergreift ihn! Es ist der Richtige!“
In demselben Augenblick erlosch die Laterne, und ich fühlte mich von allen Seiten von Fäusten gepackt. Natürlich dachte ich keinen Moment darüber nach, ob hier eine Verwechslung vorliege oder nicht. Laut um Hilfe rufen, konnte mir
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