14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
Emir; es war ein Tier, vielleicht ein Vogel, eine Tschelpiseh (Eidechse) oder Maïr-mar (‚Natterschlange‘, Ringelnatter)“, sagte der Mirza.
„Ich habe jede Art von Waldgeräusch studiert“, antwortete ich; „dies war kein Tier, sondern ein Mensch.“
Mit einigen langen Sprüngen umkreiste ich das Gesträuch und faßte einen Mann, der eben im Begriff stand, zu entschlüpfen. Es war einer der persischen Diener.
„Was tust du hier?“ fragte ich ihn.
Er antwortete nicht.
„Rede, sonst löse ich dir die Zunge!“
Jetzt öffnete er die Lippen, ließ aber nur ein unartikuliertes Stammeln vernehmen. Da trat der Mirza hinzu und sagte, als er den Mann erblickte:
„Saduk ist's? Er kann dir nicht antworten, er ist stumm.“
„Aber was sucht er hier in dem Maulbeergesträuch?“
„Er wird es mir sagen; ich verstehe ihn.“ Und zu dem Diener gewendet, fragte er denselben:
„Saduk, was hast du hier zu schaffen?“
Der Gefragte öffnete die Hand, in der er einige Kräuter und Wacholderbeeren hatte, und versuchte, sich durch Gebärden verständlich zu machen.
„Woher kamst du?“
Saduk zeigte nach rückwärts, dem Lager entgegengesetzt.
„Wußtest du, daß wir uns hier befanden?“
Der Diener schüttelte mit dem Kopf.
„Hast du gehört, was wir gesprochen haben?“
Dasselbe Zeichen erfolgte.
„So gehe, aber störe mich nie wieder!“
Saduk entfernte sich, und sein Herr erklärte mir: „Saduk ist von Alwah beauftragt worden, Wacholderbeeren, wilden Lauch und andere Kräuter zu suchen, die bei der Zubereitung der Auerhühner gebraucht werden. Er ist nur ganz zufällig in unsere Nähe gekommen.“
„Und hat uns belauscht“, warf ich ein.
„Du hast ja gesehen, daß er dies verneinte.“
„Ich glaube ihm nicht.“
„O, er ist treu!“
„Sein Angesicht gefällt mir nicht. Ein Mensch mit winkeliger, gebrochener Kinnlade ist falsch; dies mag ein Vorurteil sein, aber ich habe es bisher immer bestätigt gefunden. Ist er stumm geboren?“
„Nein.“
„Wodurch hat er denn die Sprache verloren?“
Der Mirza zögerte mit der Antwort, sagte aber dann doch:
„Er hat keine Zunge mehr.“
„Ah! Und erst konnte er sprechen? So ist sie ihm herausgeschnitten worden?“
„Leider!“ antwortete der Mirza zurückhaltend.
Ich dachte mit Schaudern an die glücklicherweise jetzt seltene Grausamkeit, ein durch die Zunge geschehenes Vergehen durch Herausschneiden oder gar Herausreißen dieses Gliedes zu bestrafen. Diese Unmenschlichkeit kam besonders im Orient und in den Sklavenstaaten Amerikas vor.
„Hassan Ardschir-Mirza“, begann ich wieder, „ich sehe, daß du über diese Sache nicht gern sprechen möchtest; aber dieser Saduk gefällt mir nicht; ich könnte ihm niemals mein Vertrauen schenken, und seine Gegenwart während unseres Gespräches kommt mir verdächtig vor. Ich bin kein neugieriger Mann, aber ich habe die Gewohnheit, in gefährlichen Lagen auch dem gleichgültigsten Gegenstand meine Aufmerksamkeit zu schenken. Ich bitte dich, mir zu erzählen, wie er um seine Zunge gekommen ist.“
„Ich habe ihn erprobt, Emir; er ist treu und ehrlich. Dennoch aber sollst du erfahren, was meinen Vater bewogen hat, ihn auf diese Weise zu bestrafen.“
„Deinen Vater? Ah, das ist wichtig!“
„Du irrst, Emir! Dieser Saduk war in seiner Jugend Kmankasch (Bogenschütze) meines Vaters und hatte als solcher das Amt, der Überbringer seiner Befehle, Botschaften und sonstigen Sendungen zu sein. Als solcher verkehrte er viel in dem Hause des Muschtahed (wörtlich ‚Beweisführer‘ = Oberpriester, der in Persien noch über dem Scheik ul Islam steht) und sah die Tochter desselben. Sie gefiel ihm, und er war ein schöner Mann. Er sprang über die Mauer des Gartens, als sie bei den Blumen stand, und wagte es, zu ihr von seiner Neigung zu sprechen. Der Muschtahed befand sich unbemerkt in der Nähe und ließ ihn festnehmen. Aus Rücksicht für meinen Vater wurde er nicht dem Urfgericht übergeben, das ihn zum Tod verurteilt hätte; aber er hatte mit der Zunge gesündigt, und der Muschtahed drang darauf, daß mein Vater ihm die Zunge nehmen solle. Mein Vater hatte den Muschtahed sehr zu berücksichtigen, und so ließ er einen Maitschunigar (Apotheker) kommen, der zugleich ein berühmter Arzt war, und dem Bogenschützen die Zunge herausschneiden.“
„Das war fast schlimmer als der Tod. Saduk ist seit jener Zeit stets bei deinem Vater gewesen?“
„Ja. Und seine Schmerzen hat er mit geduldiger Ergebung
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