140 - Kastell der namenlosen Schrecken
Bolzenschneider nacheinander viermal dicht neben dem Rahmen ein. Es sollte nach seinem Besuch so aussehen, als habe sich nichts verändert. Langsam kippte der Holzrahmen mit dem Gitter, dessen Maschenwerk eine Unzahl von kreuzförmigen Verbindungen bildete, nach vorn. Dorian fing das Gitter auf und lehnte es an die Mauer. Dann schwang er sich ins Innere des Gewölbes.
Es stank mörderisch. Es war lichterfüllt und heiß. Feuchtigkeit verdunstete ununterbrochen von Mauern und Säulen.
Ohne ein Geräusch zu machen, ging Dorian langsam entlang einer Wand und versuchte zu entziffern, was vor einer langen Kette von Generationen in den Stein geritzt worden war. Er las verschnörkelte Jahreszahlen in römischer und lateinischer Schreibweise.
Er entzifferte Namen, deren Klang ihn sofort wieder in eine weit zurückliegende Welt versetzten. Verfluchungen und Drohungen konnte er herauslesen. Gaunerzinken, die von ohnmächtiger Wut sprachen.
Bezeichnungen von Foltern standen da. Seine Finger fuhren die Umrisse der tief eingegrabenen Linien nach. Wieder ein Fluch. Dann glitten Dorians Finger in ein längliches, tiefes Loch. Er bückte sich, während seine rechte Hand nach dem Bündel der schweren Nachschlüssel suchte.
„Tatsächlich. Könnte die Öffnung für einen Schlüssel sein", murmelte er, zog die Dietriche heraus und lauschte.
Ganz schwach hörte er die Musik aus dem Autoradio. Sonst gab es keine Geräusche aus dem Baugelände.
Dorian hatte den uralten Schlüssel in Jean-Jacques Büro genau angesehen. Er wählte einen Bart, der jenem alten Schließwerkzeug entsprechen konnte, schraubte ihn an den Schaft und stocherte in der Öffnung herum. Die Heißdampfgeräte, verbunden mit dem hohen Druck herausgepreßten Wassers, würden vielleicht allen Rost und Schmutz aufgeweicht und losgerissen haben. Langsam drehte sich der Nachschlüssel, rutschte ab, faßte wieder, dann gab es ernsthaften Widerstand.
Dorian griff mit beiden Händen zu, kantete den Handgriff hin und her, und tief in der Wand ertönte ein Knacken und Scharren. Eiserne Teile wurden bewegt und klirrten gegeneinander.
Noch zweimal versuchte der Dämonenjäger, den Schlüssel zu drehen. Er hatte sein Ohr an die nasse Mauer gepreßt und lauschte, tief in sich versunken, auf jedes noch so feine Geräusch.
Langsam und mit ebenso großer Behutsamkeit wie Kraftentfaltung drehte er den Nachschlüssel herum. Immer wieder vernahm er wie aus großer Ferne klirrende und reibende Laute. Dann gab es im Innern jenes Schlosses keinen Gegendruck mehr.
„Und was habe ich in Wirklichkeit geöffnet, ihr Dämonen?" fragte er leise und huschte hinüber zur nächsten Wand.
Er war darauf vorbereitet, daß jene Wesen, die sich dort verbargen, die steinerne Drehtür von innen aufsprengen konnten.
Aber er war hier, bewaffnet mit Kreuz, Silber und Knoblauch, mit magischen Ankhs und einer Waffe, die silberne Geschosse verfeuerte.
Er wartete in steigender Ungeduld, wie ein Raubtier mit gespannten Muskeln, auf einen Zwischenfall. Wieder suchte er die Wand ab. Diesmal handelte es sich um die Außenwand, die unter der Schmalseite von Le Castellet verlief. Die Beschimpfungen, Flüche, Zahlen und Namen wiederholten sich in einer langen Litanei, die von Qualen der menschlichen Seele und solchen des Körpers sprach.
Trotz aufmerksamer Suche konnte der Dämonenkiller weder Spalten, Risse, Anzeichen von später eingefügten Quadern oder Schlüssellöchern finden. Er suchte weiter, lauschte immer wieder auf Schritte oder einen barschen Anruf des Bauarbeiters, aber bisher war sein Eindringen völlig unbemerkt geblieben.
Er grinste kalt und erwartungsvoll.
Nein. Nicht unbemerkt! Die Wesen, die sich hier verbargen, hatten ihn sehr wohl bemerkt.
Dorian wechselte hinüber zur dritten Wand. Bedächtig näherte er sich dem versperrten Eingang. Die Hitze, die von den Scheinwerfern ausstrahlte, brannte in seinem Rücken. Er war schweißüberströmt, seit er den Keller betreten hatte. Immer wieder wischte er mit dem Ärmel sein Gesicht ab.
Dorian konzentrierte sich derart stark und ausschließlich, daß die kurz aufflackernden Erinnerungen bedeutungslos wurden. Nicholas de Conde hatte in jenen Jahren gelebt, als sich hier die Scheußlichkeiten abspielten. Abermals erfuhr Dorian aus den Kritzeleien und Ritzzeichnungen, daß über lange Jahrzehnte hinweg an dieser Stelle Menschen unbeschreibliche Grausamkeiten hatten erdulden müssen.
Aber auch in dieser Wand gab es keine verräterischen
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