1406 - Der neue Baphomet
sogar, als hörte sie eine fremde Stimme in ihrem Innern.
Sie schaute noch.
Niemand war zu sehen. Völlig allein hockte sie im Garten des Templerklosters. Ein leichter Windhauch strich über das Buch hinweg und spielte mit den Seiten. Einige hob er an, ließ sie wieder sinken und begann sein Spiel von vorn.
»Du bist der neue Baphomet!«
Sophia schrak zusammen, als sie die Stimme hörte. Ein Eispickel schien sich in ihre Nackenhaut gebohrt zu haben, und sie wagte nicht, ihren Kopf zu drehen.
Es war keine Täuschung. Die Stimme war aufgeklungen, und der Sprecher befand sich noch in ihrer Nähe, denn abermals hörte sie ihn wispern.
»Du bist der neue Baphomet, und dir gehört dieses Buch. Es ist uralt, es hat lange in dem Versteck unter der Kathedrale gelegen, und es darf sich nur im Besitz einer würdigen Person befinden.«
Sophia blickte sich um.
Nichts bekam sie zu Gesicht.
Keine Gestalt, die durch den Klostergarten schritt oder in ihrer Nähe stand. Es war alles so unheimlich um sie herum geworden.
Selbst die Kälte schien zugenommen zu haben. Sie fing an zu frieren, aber sie fragte sich, ob sie fror, weil es hier so kalt war, oder ob dies an der inneren Kälte lag.
Weiter vorn sah sie die Mauern der Kapelle. In der Dunkelheit schimmern sie in einem leicht bläulichen Ton. Die Fenster sahen aus wie matte trübe Augen.
Sie ging wieder in die Knie.
Der erneute Griff nach dem Feuerzeug…
»Es ist kein Buch…«
Sophia unterdrückte eine Verwünschung. Gleichzeitig fühlte sie sich in ihrer Lage mehr als unwohl. Das wäre jedem Menschen so ergangen, wenn man ihn aus dem Unsichtbaren ansprach.
Wer konnte die Person sein? Oder waren es mehrere, die mit einer Stimme sprachen?
Durchaus möglich, denn ihr kamen die vier Gestalten in den Sinn, die ihr die Bibel überreicht hatten.
Sie schaute sich um. Zuerst sah sie nichts. Dann aber, als sie sich lange genug konzentriert hatte, fielen ihr die schattenhaften Gestalten in der Luft auf.
Sie berührten nicht mal den Boden. Sie schwebten über ihn hinweg wie Geister, aber bei genauem Hinschauen waren sie gut zu erkennen.
Vier Reiter auf schwarzen Pferden, und diese Gestalten rahmten sie von allen Seiten ein.
» Du wirst das Buch nicht verbrennen, denn du bist der neue Baphomet. Wir wiederholen es. Du bist Pistis Sophia – Glaube und Weisheit, und danach solltest du dich richten. Es wäre nicht gut, das Buch zu vernichten und… «
»Aber warum?«, rief sie. »Was kann ich denn tun? Wer bin ich? Wie kommt ihr auf den neuen Baphomet?«
»Das musst du selbst herausfinden. Wir haben dir einen Hinweis gegeben. Gehe ihm nach. Wir sind nur die Hüter, wir verwalten die alte Zeit. Denke daran, dass du nicht unsterblich bist, Sophie, sondern von einer Gnade lebst und abhängig bist. Nimm das Buch und behalte es als deinen Schatz.«
Sie konnte keine Antwort geben, weil sie innerlich einfach zu aufgeregt war. In den vergangenen Sekunden hatte sie einiges gehört, doch nicht alles verstanden. Wichtig war, dass sie das Buch nicht dem Feuer übergab. Aber wäre es nicht besser, wenn sie es täte? Sie hatte erlebt, wie das Buch zum Mörder geworden war!
Ein Geräusch lenkte sie ab. Da es in ihrem Rücken erklungen war, drehte sie ich um.
Aus der Dunkelheit löste sich ihr Mann. Godwin ging schnell. Vor seinen Lippen wehte der kondensierte Atem, und er war froh, Sophia gefunden zu haben.
»Hier bist du also.«
»Wie du siehst.«
»Ich hatte schon Angst um dich.«
»Das brauchst du nicht.«
»Doch. Dieses Buch ist des Teufels!« Er schaute sie an. »Wolltest du es nicht verbrennen?«
»Ja, das hatte ich vor«, murmelte sie versonnen.
»Und warum hast du es nicht getan?«
»Es… es … ging nicht.«
»Was?«
»Ja, Godwin, es ging nicht. Das musst du mir einfach glauben. Mein Gott, ich hatte ja vor, das Buch anzuzünden, doch dann kam alles anders. Ganz anders«, flüsterte sie, »denn es erschien jemand, mit dem ich nicht gerechnet hatte.«
Der Templer schüttelte den Kopf. »Wie? Du hast Besuch bekommen?«
»Ja.«
»Aber ich habe niemanden gesehen.«
»Das ist wohl wahr. Sie waren auch nicht zu entdecken. Oder nur sehr schwer. Aber sie sind da gewesen.«
»Sag schon, wer es war.«
»Die vier Reiter!«
Das Gesicht des Templers blieb starr. Sein Blick war auf Sophia gerichtet, die einen verlorenen Eindruck machte und dabei ins Leere schaute. Er glaubte nicht, dass sie ihn belog, aber es fiel ihm auch schwer, ihr zu glauben. Deshalb schweifte sein
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