1406 - Der neue Baphomet
Besuch ihr mehr Aufschluss brachte.
Sie hatte sich sehr schnell angezogen und war aus dem Zimmer geschlichen. Godwin hatte ihr das Innere des Klosters gezeigt und sie überall herumgeführt. Das erwies sich jetzt für sie als großer Vorteil, denn so wusste sie auch, wie sie zum hinteren Ausgang gelangte und von dort in den Garten.
Im Haus selbst war es still. Es gab keine fremden Geräusche. Nur der Sturm tobte weiterhin und schlug mit brutaler Wucht immer wieder gegen das Gebäude.
Als sie vor der hinteren Tür stand, hielt sie einen Moment innen.
Sie sah aus wie jemand, der sich nicht entscheiden konnte, ob er nun gehen sollte oder nicht.
Der wichtigste Schritt dieser Nacht stand bevor, und nach einem tiefen Luftholen ging sie ihn.
Die Tür war nicht abgeschlossen. Sie öffnete sie langsam, und sie erwartete, von einer Windbö erwischt zu werden, was nicht eintraf.
Sie hatte sogar den Eindruck, in eine windberuhigte Landschaft hineinzutreten, denn das Heulen des Sturms war zwar zu hören, aber er sauste irgendwie über sie und den Garten hinweg.
Sophia schaute gegen eine dunkle und trotzdem von einem ungewöhnlichen Licht erfüllte Insel, und sie sah sie vier schaurigen Reiter aus der Nähe.
Spätestens jetzt hätte sie Angst verspüren müssen, denn sie stellte fest, dass die Gestalten bewaffnet waren. Doch beinahe kam es ihr vor, als würde sie alte Freunde begrüßen, die sie lange nicht mehr gesehen hatte.
Die vier Reiter taten ihr nichts. Das Licht blieb, es umstrahlte sie und gab vieles von ihnen preis.
So erkannte Sophia, dass die Gestalten auf den Pferden aus schwarzen und leicht glänzenden Skeletten bestanden. Damit hatte sie nicht gerechnet. Aber diese Skelette »lebten«, und sie trugen Panzer vor der Brust.
Vier Reiter, vier Buchstaben.
Das A, das E, das B und wieder das A!
Diese Buchstaben mussten eine Bedeutung haben. Die Panzer waren nicht grundlos so gekennzeichnet, und schon jetzt zerbrach sich Sophia den Kopf, was sie wohl bedeuten könnten.
So sehr sich Sophia Blanc auch anstrengte, für sie gab es leider keine Lösung.
»Aeba«, flüsterte sie und fragte ebenso leise sich selbst: »Sind sie auch mit meinem Schicksal verbunden?«
Das musste einfach so sein. Sonst wären die Reiter nicht erschienen, um sich ihr in all ihrer Scheußlichkeit zu präsentieren. Leider war niemand da, der sie aufklärte, und so musste Sophia weiter nachgrübeln, und sie ärgerte sich darüber, dass sie zu keiner Lösung kam.
Aber es musste ihr doch möglich sein, einen Kontakt mit diesen vier Reitern aufzunehmen!
Die Reiter saßen auf den Rücken ihrer Pferde wie festgewachsen.
Ab und zu bewegten die Tiere ihre Köpfe, als wollten sie ihr zunicken und ihr klarmachen, dass sie keine Angst zu haben brauchte.
Dunkle und trotzdem leicht flirrende Knochenfratzen glotzten auf sie nieder. Augenhöhlen, von den denen Sophia nicht wusste, ob sie leer oder gefüllt waren. Sie merkte auch den leicht scharfen Geruch, der von einem Feuer hätte stammen können.
Alles war fremd, und trotzdem spürte sie keinerlei Angst. Diese kleine Welt steckte voller Wunder.
Jemand sprach sie plötzlich an. Es war zwar eine Stimme, aber sie hätte nicht sagen können, woher sie stammte. Von irgendwoher drang sie an ihre Ohren, versehen mit einem schrillen Klang.
»Sophia…«
»Ja, das bin ich.«
»Wir haben dich gesucht. Wir haben lange warten müssen, aber nun ist es so weit.«
»Was denn?«
»Das wirst du gleich erleben.«
Sie wunderte sich noch immer. Konnten Skelette sprechen? Noch vor einer halben Stunde hätte sie es für unmöglich gehalten, aber inzwischen hielt sie alles für möglich.
Endlich schaffte sie es, sich zu überwinden und eine Frage zu stellen. »Wer seid ihr?«
»Ein Schicksal. Ein Schicksal, das die Welt schon öfter besucht hat. Die Reiter der Apokalypse. Wir sind Aeba.«
Jetzt hatte sie die Antwort gehört. Trotzdem schüttelte Sophia den Kopf, denn sie begriff es nicht. Die Apokalypse war ihr schon ein Begriff, und die kannte auch das berühmte Gemälde von Dürer, aber was bedeutete Aeba?
Sophia hob die Schultern. Sie versuchte auch zu lächeln, was ihr misslang.
»Aeba…«, flüsterte sie.
»Ja, so haben wir uns genannt.«
»Und warum?«
»Wir sind es ihnen schuldig, weil wir sie sind – Erzdämonen!«
Wieder wusste Sophia nicht, was sie sagen sollte. Sie stand irgendwie voll daneben. Es waren zu viele Neuigkeiten auf sie eingestürmt, die sie noch nicht einordnen
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