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1408 - Der Totenholer

1408 - Der Totenholer

Titel: 1408 - Der Totenholer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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geschminkt. Beim lautlosen Näherkommen sahen wir, dass zahlreiche Tiegel und Töpfe um ihn herumstanden. Da an seinen Händen ebenfalls Schminke klebte, musste er sie mit den Fingern auf den Gesichtern der Toten aufgetragen haben.
    Er hatte uns noch immer nicht gesehen. Im Sitzen schwang er vor und zurück, wobei er zugleich mit seinen Toten redete und ihnen eine tolle Zukunft versprach.
    »Wir werden uns gut verstehen, das verspreche ich euch. Ich werde Herr im Totenreich sein, das hat man mir versprochen, Ich weiß jetzt, dass es nicht nur diese eine Welt gibt. Der Teufel hat mir eine andere eröffnet, und ich bin froh darüber und…«
    Bisher war alles gut gegangen, jetzt aber brach er mitten im Satz ab, und wir sahen, dass er sogar zusammenzuckte. Etwas hatte ihn gestört. Er blieb in den nächsten Sekunden stumm, beugte nur seinen Körper etwas nach vorn und drehte ihn dann zur Seite.
    Er schaute uns direkt in die Gesichter!
    ***
    Wir brauchten nicht mehr weiterzugehen, denn wir waren inzwischen nahe genug an ihn herangekommen. Beide wichen wir dem Blick nichts aus, und es stellte sich die Frage, wer von uns dreien überraschter war. Wahrscheinlich er, denn wir hatten uns an seinen Anblick gewöhnen können.
    Aber das stimmte nicht ganz. Zum ersten Mal sahen wir sein Gesicht von vorn und hatten beide unsere Probleme damit.
    Es war nicht ganz das Gesicht eines Kindes, aber viel fehlte nicht.
    Man konnte es als das Gesicht eines großen Jungen bezeichnen, der nie richtig erwachsen geworden war, wohl aber von der Körpergröße her, denn da war er ausgewachsen.
    Wir sahen die blasse Albinohaut, die trotz des Lichts auffiel. Hinzu kamen seine weit geöffneten Augen, die uns sehr rot erschienen.
    Sein Mund stand offen. Er konnte seinen Speichel nicht mehr halten. Der floss über die Unterlippe und rann am Kinn entlang. Und er schaute tatsächlieh so überrascht wie ein kleiner Junge, der vor einem Nikolaus steht.
    Dann lachte er.
    Ich wollte ihn ansprechen, aber er kam mir zuvor. »Ha, ich habe ja Besuch bekommen!«
    »Ja, das hast du.«
    Er kümmerte sich nicht um meine Antwort, sondern wandte sich an seine toten Freunde.
    »Habt ihr gehört? Man hat uns besucht. Das ist doch toll, nicht?«
    Er freute sich, aber für uns war es nicht zum Lachen. Es war verdammt traurig, ihn zu erleben. Silas Manson lebte nicht mehr in der normalen Welt. Er war in seiner eigenen regelrecht gefangen, und genau das betrachtete ich als sehr schlimm. Manson nahm die Wirklichkeit nicht mehr wahr, wie sie existierte, und auch jetzt kümmerte er sich nicht direkt um uns, sondern um seine Toten.
    »Es ist schade, dass ihr meine Besucher nicht sehen könnt. Noch nicht, Freunde, aber ich weiß, dass es sich bald ändern wird. Darauf könnt ihr euch verlassen.« Wieder kicherte er. »Dann kann ich euch ihnen auch vorstellen. Ich werde euch noch etwas nachschminken müssen. Draußen ist Frühling, wir wollen doch alle schön sein.«
    »Silas Manson!«, sprach ich ihn an.
    Er schüttelte ärgerlich den Kopf, sodass seine hellen Haare flogen.
    »Warum störst du mich?«
    »Wir wollten dich holen.«
    »Ach ja?«
    »Genau.«
    »Das geht nicht. Ich muss bei meinen Freunden bleiben. Ich habe ihnen versprochen, sie schön zu machen. Dann werden wir wieder in die Welt gehen. Ich und meine Freunde.«
    »Das verstehe ich«, erwiderte ich mit ruhiger Stimme. »Aber ich denke, dass du deine Freunde später nachholen kannst. Zunächst mal solltest du dich selbst dort draußen umschauen. Dann kannst du ja wieder zurückkehren und sie holen.«
    »Meinst du?«
    »Bestimmt ist das besser.«
    Er überlegte noch. Dabei bewegte er sich und schaute jeden seiner Freunde an, als wollte er sich von ihnen eine entsprechende Bestätigung holen.
    Für uns war es eine völlig andere und auch makabre Situation. Sie entbehrte jeder Logik, und ich konnte mir auch nicht vorstellen, es mit einem normalen Menschen zu tun zu haben. Aber er war auch kein Dämon. Er war eine Gestalt, die sich an der Schnittstelle zwischen beiden Zuständen befand.
    »Hast du Abschied von deinen Toten genommen, Silas?«
    »He, nein, es ist kein Abschied. Ich habe ihnen nur gesagt, dass ich bald wiederkomme.«
    »Das ist gut.«
    Wir dürfen ihn nicht drängen. So ließen wir ihm Zeit, dass er den vier Leichen jeweils einen Abschiedblick zuwerfen konnte. Dabei hingen wir den eigenen Gedanken nach, und Suko war wohl ebenso durcheinander wie auch ich.
    »Es will mir nicht in den Kopf«, sagte er,

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