1418 - Grabgesang der Geistermönche
Wachdienst kann schließlich nicht ausfallen.«
»Das erledige ich für Sie«, sagte Harry. »Ich denke, dass wir da eine Lösung finden.«
Weber strahlte. »Würde mich ehrlich freuen…«
***
Michael Meier war da!
Endlich. Er hatte das Ziel erreicht. Die Hälfte seiner Träume hatte sich bereits erfüllt. Er war mit dem Auto hochgefahren und nicht als Pilger gekommen. Den Wagen hatte er auf einem der Parkplätze in der Nähe abgestellt. Den Rest der Strecke war er zu Fuß gegangen.
Er fühlte sich jetzt völlig anders als noch unten in der Stadt.
Er spürte die Nähe – die Nähe zu ihm. Er hatte genau das Richtige getan. Hier würde er zurückkehren zu seinen Wurzeln, denn dieser vor ihm liegende Ort war eine Pilgerstätte, zu der vom Ort aus einige hundert Stufen hinaufführten, die noch heute von Pilgern genommen wurden. Darauf hatte er verzichtet. Er sah auch keine Menschen, die dies auf Knien taten. Einige waren in Schweiß gebadet, als sie die letzten Stufen hinter sich brachten.
Der Ausblick war grandios. Über die Mauer hinweg ins Maintal und zu den Hängen der Weinberge. Kleine Ortschaften lagen verstreut im Tal. Die Autos wirkten wie Spielzeuge, und Straßen führten wie graue Bänder in das Grün der Landschaft.
Meier genoss des Ausblick und dachte daran, dass alles schon früher so gewesen war, vor allen Dingen das Kloster mit seiner Kirche und der dazugehörigen Gruft.
Sie wollte er zuerst besuchen.
Aber noch wartete er ab. Er stand unter einem Baum, dessen Stamm ihm Deckung gab. Er sah die Menschen in die Schwemme gehen und auch in die Klosterkirche, die dem heiligen Michael geweiht war – also eigentlich ihm.
In seinen Augen lag ein Ausdruck, als ob er starkes Fieber hätte. Er sprach mit sich selbst, meinte aber die Besucher und flüsterte vor sich hin: »Ich werde euch vertreiben, wenn es so weit ist. Ich werde meinen Ort wieder reinigen und auch die verfluchten Mönche vertreiben, die hier nichts zu suchen haben…«
Er fühlte sich als Befreier und zugleich als Rächer!
Das Schwert hing eingepackt über seiner Schulter. Den Rucksack hatte er im Auto gelassen. Er brauchte ihn nicht. Wichtig war nur, eine Waffe zu haben. Ein Schwert, wie es auch der heilige Michael besessen hatte. Nur das zählte.
Er würde hier für Korrekturen sorgen, das stand fest. Er sah einen der Mönche. Er kam aus der Schwemme und ging über den schmalen Weg, der um den Klosterbau herumführte und dabei einen blühenden Garten durchschnitt.
In die Schwemme wollte Michael vorerst nicht gehen. Er sah sie als entweihte Stätte an, und auch das würde er ändern, wenn er einmal die Herrschaft hier besaß.
Die Besucher kümmerten sich nicht um ihn. Es waren auch Busse angekommen, die auf einem speziellen Parkplatz standen. Er hatte die älteren Leute aussteigen sehen. Irgendwie wirkten sie alle gleich.
Marionetten, die ihren vorgezeichneten Weg einschlugen, sich in der Kirche umschauten und demjenigen keine Achtung entgegenbrachten, dem das Kloster geweiht worden war.
Michael ging langsam und mit hoch erhobenem Haupt. Zuerst wollte er dorthin, wo die Statue des Heiligen Michael stand. Sie hatte einen festen Platz außerhalb der Mauern erhalten und war so aufgestellt, dass sie das weite Tal überblicken konnte.
Dann sah er etwas, das ihn überraschte. Ein Kreuz aus grauem Stein. Außen am Gemäuer eingeschlagen. Als Michael davor stehen blieb, da rann ihm ein Schauer über den Rücken. So sehr traf ihn der Anblick dieses Kreuzes.
In seiner Nähe hörte er Stimmen. Menschen, die sich zu laut unterhielten und die Andacht störten, die ihn erfasst hatte. Er drehte sich um, und sein Gesicht verzerrte sich dabei, als er die Menschen anschaute. Sie sahen das Kreuz, aber sie ließen die nötige Achtung vermissen und redeten über alles Mögliche, nur nicht über die Dinge, die hierher gehörten.
Am liebsten hätte er sie angeschrien oder mit dem Schwert zwischen sie geschlagen.
Hastig drehte er sich von den Besuchern weg und lief um das Mauerwerk herum. Der Anblick dieses seltsamen Kreuzes wollte ihm nicht aus dem Kopf. Aber es war nichts gegen das Kreuz, das sich in seinem Besitz befand. Ein herrliches Kleinod, ein Wunder.
Versehen mit einer großen Macht, dessen Tiefe er noch gar nicht begreifen konnte. Er musste sich beherrschen, um das Kreuz dort zu lassen, wo es war, in der Seitentasche. Am liebsten hätte er es in der Hand behalten, gestreichelt und sich voll und ganz in den Anblick vertieft.
Es war sein
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