1421 - Totenklage
hatte er einfach nicht widerstehen können, außerdem konnte er dem Mann vertrauen.
Nur musste er auch kommen.
Öfter als gewöhnlich schaute er auf seine Uhr. Eine genaue Zeit war zwar nicht abgemacht worden, aber zu lange wollte er auch nicht warten. Er hatte eigentlich noch im Garten zu tun. Und in der Dunkelheit konnte er seinen Rasen nicht mehr mähen.
Walter Brennan hatte sich so an seine Umgebung und an deren Laute gewöhnt, dass ihm das fremde Geräusch sofort auffiel.
Waren es Schritte?
So genau wollte er sich nicht festlegen, aber er stand auf und drehte sich um. Über die Rückenlehne der Bank schaute er hinweg. Er sah die Mündung des schmalen Pfads und wollte etwas sagen, als ihm das Wort im Hals stecken blieb und auch das erwartungsvolle Lächeln auf seinem Gesicht verschwand.
Er sah seinen Geschäftspartner, aber er sah auch noch etwas anderes in dessen rechter Hand.
Es war ein Messer mit zweischneidiger Klinge…
***
Dunkle Haare, halblang, ein schmales, nicht eben sonnenbraunes Gesicht. Dunkle Kirschenaugen, eine mädchenhafte Gestalt, die unter einem langen Kleid versteckt war, eine hohe Stirn, die kleine gerade Nase und die Schweißperlen auf der Stirn.
Das war Elena Davies, die junge Frau, die uns geschrieben hatte.
Vom Alter her lag sie zwischen zwanzig und fünfundzwanzig, und als sie uns bat, einzutreten, da merkten wir, dass ihr das Sprechen schon Mühe bereitete.
Sie bat uns in das recht geräumige Wohnzimmer, in dem es ziemlich warm war. Das war wohl immer so in Dachwohnungen. Als wir ihr die Hand gereicht hatten, erfuhren wir, dass wir normal reden konnten. Sie würde uns die Worte von den Lippen ablesen.
Zumindest ein Vorteil, mit dem wir beide nicht so richtig gerechnet hatten.
Wir bekamen Wasser zu trinken, auf Bier hatten wir verzichtet, und wie ein scheues Reh nahm Elena Davies vor uns Platz. Sie wusste inzwischen, wer ich war, und zeigte sich erleichtert darüber.
»Wenn Scotland Yard sich einmischt, kann ja nichts schief gehen, finde ich.«
»Danke für das Vertrauen.«
»Das habe ich noch in die Polizei. Ich habe heute noch mit Bob Kling gesprochen, unserem Dorf-Sheriff.« Sie lachte.
»Weiß er denn von Ihren Problemen?«, fragte ich sie.
»Nein, darüber habe ich mit ihm nicht gesprochen. Hätte ich es denn tun sollen?«
»Besser nicht.«
Sie lächelte und schaute uns nach wie vor an, denn sie wollte kein Wort unserer Fragen verpassen.
Bill und ich gaben uns Mühe, so deutlich wie möglich zu sprechen.
Und so erfuhren wir mehr über das, was ihr widerfahren war. Eigentlich konnten wir nur den Kopf schütteln, aber wir waren Experten und hatten schon zu viel erlebt, um ihr nicht zu glauben.
»Es liegen also fünf Tote im Sumpf«, sagte Bill.
Elena runzelte die Stirn. »Fünf?«
»Ja, denn hier in der Gegend sind fünf Personen verschwunden. Einfach weg. Das wissen Sie doch.«
Die taube Frau überlegte. Wir ließen ihr Zeit, und vor ihrer Antwort schüttelte sie den Kopf.
»Keine fünf?«, fragte Bill.
Sie schaute ihn an. »Es sind sechs«, sagte sie. »Ich habe ja gesehen, was in der Nacht vor ein paar Tagen passierte. Da hat jemand eine weitere Leiche in den Sumpf geworfen, und ich bin sicher, dass es auch der Mörder der fünf anderen Menschen gewesen ist.«
»Ja, davon müssen wir ausgehen.«
»Und Sie haben die Stimmen gehört?« Ich hatte bei meiner Frage den Kopf so gedreht, dass sie mich anschauen konnte.
»Das ist so.«
»Im Kopf?«
»Genau!«
»Haben Sie denn etwas verstanden?«
»Nein, nein«, sagte sie leise. »Das habe ich nicht. Ich hörte nur ihre Schreie. Aber kann man überhaupt die Schreie von Toten hören? Das – das – will ich nicht glauben. Die Menschen sind doch tot. Tote können nicht mehr reden.«
»Im Normalfall nicht«, bestätigte ich.
»Dann bin ich nicht normal!«
»Sie schon, aber die andere Seite nicht. Ich für meinen Teil würde Sie als sehr sensitiv beschreiben. Sie haben ein Gefühl für Dinge, die anderen Menschen verborgen bleiben. Das ist nicht jedem gegeben. Um es mal klarer auszudrücken, Elena: Ihnen fehlt ein Sinn. Sie können nicht hören, aber Sie haben dafür etwas anderes entwickelt. Einen neuen Sinn, wenn Sie so wollen. Allerdings einen, der nicht jedem Menschen gegeben ist. Es ist der Draht zum Übersinnlichen, und so konnten die Toten Kontakt mit Ihnen aufnehmen. Oder auch ihre gequälten Seelen, die keine Ruhe finden. Zumindest sehe ich die Dinge so.«
Sie nickte mir zu, gab aber keine
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