1445 - Holt mich aus der Hölle!
sagte ich leise.
»Aber was haben Sie mit meiner Tochter zu tun?«
»Eine gute Frage. Ich? Nichts, das vorweg gesagt. Ich kenne sie gar nicht. Und doch habe ich ihr Gesicht gesehen. Unter anderem auch hier.« Nach dieser Antwort holte ich mein Kreuz hervor. Dafür hatte ich nur in die Seitentasche zu greifen brauchen. Als ich das Kreuz frei auf meiner Hand liegen ließ, bekam die Moderatorin große Augen. Sie staunte es an, aber sie zuckte davor nicht zurück.
»Gehört das Ihnen?«, flüsterten sie.
»Ja, es gehört mir.«
»Und weiter?«
»Ich gebe zu, dass dieses Kreuz etwas Besonderes ist.« Mein Lächeln wurde weich. »Es stecken Kräfte in ihm, die Sie in einem normalen Kreuz nicht finden. Es ist für mich so etwas wie ein Schutz. Es hat einen sehr langen Weg hinter sich, und ich mag es sehr. Genau dort, wo sich die beiden Balken treffen, hat sich mir das Gesicht eines Kindes gezeigt, und ich gehe davon aus, dass es sich dabei um Ihre Tochter Kim gehandelt hat.«
Cathy musste die Worte erst verdauen. Sie senkte den Blick, sie überlegte, und die dünne Haut an ihrem Hals zitterte beim Schlucken. »Woher wissen Sie das denn so genau, dass es Kimberly war?«
»Das kann ich Ihnen sagen, Cathy. Wie Sie, so habe auch ich Kims Weinen gehört. Ich spürte ihre Verzweiflung, und sicherlich ist es Ihnen auch so ergangen.«
»Genau das habe ich gefühlt. Aber ich weiß beim besten Willen nicht, wie es weitergehen soll, denn diese andere Welt ist mir zu fremd.«
»Wobei Sie das Stichwort gegeben haben«, sagte ich. »Ich meine die andere Welt.«
»Und das bedeutet?«
Sehr vorsichtig formulierte ich die Antwort. Glenda und ich saßen längst auf zwei Stühlen und schauten die Moderatorin von zwei Seiten an.
»Ihre Tochter ist tot, daran gibt es nichts zu rütteln. Aber es stirbt nicht alles, wenn ein Mensch zu Grabe getragen wird. Der Körper wird vergehen, die Seele aber nicht, denn genau das macht einen Menschen aus. Wohin sie sich begibt, wissen wir nicht. Ich allerdings behaupte, dass sich die Seele Ihrer Tochter an dem Ort, an dem sie sich jetzt befindet, nicht wohl fühlt. Sie ist unglücklich und sie weiß nicht, wie sie von dort fortkommen soll. Deshalb der verzweifelte Schrei nach Hilfe und dazu dieses Einreißen der Grenzen über alle Schranken hinweg.«
Cathy Fox hatte mir stumm und regungslos zugehört. Ich hatte mich dabei auf ihre Augen konzentriert, und ich sah in ihrem Blick ein gewisses Verständnis für meine Formulierungen, obwohl sie bestimmt schwer für sie zu fassen waren.
Ihre nächste Frage erreichte mich als Flüstern. »Können Sie da nicht konkreter werden?«
»Leider nicht. Diese Welten bleiben für uns Menschen verschlossen.«
»Kann es sein, dass sie in der Hölle steckt?«
Es war eine Frage, die weder Glenda noch ich erwartet hatten, die jedoch auf der Hand gelegen hatte.
»Sagen Sie doch was!«
»Wir wissen es nicht«, erklärte ich. »Möglich ist alles. Aber was ist die Hölle?«
»Nein«, sagte sie, »nein, das kann ich nicht glauben. Kinder kommen nicht in die Hölle. Das ist unmöglich. Das weiß ich genau. Sie kommen in den Himmel, wenn man daran glaubt.«
»Und an was glauben Sie?«, fragte Glenda.
»Ich weiß es nicht. Ich habe mir darüber nie Gedanken gemacht. Erst in den letzten Monaten. Da habe ich mich immer damit beruhigt, dass meine Kim zu einem Engel geworden ist und sich durch ihre Unsichtbarkeit stets in meiner Nähe befindet. Könnten Sie das akzeptieren?«
»Wenn es Sie beruhigt, schon.«
»Danke. Ich fühle mich schon nicht mehr so schlimm. Die – die Dinge haben sich nur so seltsam entwickelt. Ich bin damit noch nie in meinem Leben konfrontiert worden. Aber eines muss ich Ihnen noch sagen.«
»Bitte!«
»Ich finde Ihr Kreuz wundervoll. Ich könnte es die ganze Zeit über anschauen. Es gibt mir ein gutes Gefühl, wie ich es noch nie zuvor gespürt habe.«
»Das freut mich«, sagte ich und sah, dass sie mit sich kämpfte, um eine Frage zu stellen. Deshalb nickte ich ihr aufmunternd zu. Sie verstand die Geste und flüsterte: »Darf ich es mal in meinen Händen halten?«
»Bitte.«
Sie wartete, bis ich ihr meine rechte Hand mit dem Kreuz entgegengestreckt hatte. Zuerst strich sie mit den Fingern über das edle Metall. Dabei entdeckte ich bereits das Leuchten in ihren Augen.
Dann nahm sie meinen Talisman in beide Hände.
»Was spüren Sie?«, fragte Glenda.
Cathy hob die Schultern. »Ich weiß nicht so recht, wirklich nicht. Ich kann es
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