1446 - Der Eis-Schamane
durch die Luft«, berichtigte ich sie.
»Ja, das kann sein. Obwohl man ja bei ihm nie weiß, was er sich wieder ausgedacht hat.«
»Da hast du auch wieder Recht.«
»Auch einen Kaffee?«
»Danke, im Moment nicht. Ich muss noch das Ticket…«
»Lass mal, darum kümmere ich mich.«
***
Das hatte sie auch getan, und ich öffnete die Augen, als ich die Stimme der Flugbegleiterin vernahm, die davon sprach, dass sich die Passagiere bitte anschnallen sollten, weil wir in den Landeanflug übergingen. Ich hatte zwar auf dem Flug nicht geschlafen, mir aber alles durch den Kopf gehen lassen und mich noch mal an das Telefongespräch mit meiner Freundin Maxine Wells erinnert.
Die Ansage hatte mich zurück in die Realität geholt. Der Sitz neben mir war nicht belegt, so hatte ich mich ausbreiten können und schaute jetzt durch das kleine Fenster nach unten.
Eine weiße Welt erwartete mich in Schottland. Bei einem zweiten Anruf hatte mich Maxine darauf hingewiesen, und ich war auch mit entsprechender Kleidung ausgerüstet. In ihrem Haus würden wir nicht bleiben, auf uns wartete die Landschaft, und die war nun mal unter der weißen Decke zum großen Teil verschwunden.
Ich ärgerte mich nicht darüber. Der Winter gehörte nun mal zum Leben in unseren Breiten. Immer Sonne zu haben, das wäre nichts für mich. Ich brauchte die wechselnden Jahreszeiten.
Wenig später kam der Flughafen in Sicht. Man hatte die Landebahnen frei geräumt, das Aufsetzen würde keine Probleme bereiten, und so war es dann auch.
Alles lief sehr ruhig und lässig ab. Ein wenig Gerüttel, das war alles. Uns flogen keine Eisbrocken um die Ohren.
Die Maschine rollte aus. Wir stiegen aus, und obwohl die Gangway geschützt war, bekamen wir den scharfen Wind mit, der die Kälte mitbrachte. Hier oben war es eben anders als im recht trüben London, das nicht so oft eine richtige Kälte erlebte.
Maxine Wells erwartete mich. Ihre dicke Jacke hatte sie ausgezogen. Jetzt stand sie in ihrem schwarzen Pullover vor mir und flog mir in die Arme.
Ich drehte sie einige Male um die eigene Achse, denn auch ich freute mich, sie wieder mal zu sehen.
Dass sie mich küsste, gefiel mir auch, und sie sagte dann: »Ich weiß, was du möchtest.«
»Eine Tasse Kaffee.«
»Richtig. Und etwas zu essen.«
Ich nickte.
»Dann komm mit.«
Wir betraten ein Lokal, das so etwas wie ein Bistro oder eine Cafeteria war. Gegen den Hunger suchte ich mir ein Stück Mohnkuchen aus. Die Tierärztin verzichtete auf Nahrung, sie trank nur einen Espresso.
»Wo steckt denn Carlotta?«, fragte ich. »Hält sie Stallwache in der Praxis?«
»So ähnlich. Nein, ich habe die Praxis geschlossen und werde sie erst in einigen Tagen wieder öffnen.«
»Das ist vernünftig.«
»Aber du bist wieder voll dabei – oder?«
Ich lächelte sie an. »Dank dir.«
»Hör auf, John. Ich…«
»Doch. Bei uns ruhte der See still.«
»Dann habe ich dich also nicht von etwas Wichtigem abgehalten?«
»Hast du nicht.«
Ich aß den Kuchen, der mir nicht so gut schmeckte. »Wir werden anschließend zu dir fahren?«
»Nein. Ich dachte mir, dass wir den See besuchen, auf dem die toten Tiere liegen.«
»Auch gut. Und was ist mit dem Förster, von dem du mir erzählt hast?«
»Der hält sich zurück. Ich habe ihm dazu geraten.«
»Weiß er denn von mir?«
»Natürlich.« Sie lächelte schmal. »Nur so hat er sein Gewissen beruhigen können. Er war der Meinung, dass die Polizei unbedingt eingeschaltet werden muss. Mit deinem Kommen hat er sich dann zufrieden gegeben.«
»Sehr gut. Und es bleibt bei deinem Plan, dass wir zuerst den See besuchen?«
»Ja.«
»Und dann?«
Sie hob die Hände an. »Dann werden wir sehen, wie sich die Dinge entwickeln…«
***
Ihre Ziehmutter Maxine Wells war schon recht früh zum Flughafen gefahren und hatte ihren Schützling, das Vogelmädchen Carlotta, allein zurückgelassen. Es passte ihr zwar nicht, aber sie hatte sich inzwischen damit abgefunden, dass viele Dinge, die andere in ihrem Alter taten, für sie tabu waren.
Dafür besaß sie eben diese besonderen Kräfte. Sie war in der Lage, wie ein Vogel zu fliegen. Für sie war der Traum vieler Menschen in Erfüllung gegangen.
Damals war sie in ein Labor verschleppt worden. Als sehr kleines Kind noch waren Versuche an ihr durchgeführt worden. Durch Genmanipulationen war sie zu dem geworden, was sie jetzt sah, wenn sie in den Spiegel schaute, und sie war letztendlich froh, dass sich eine Frau wie Maxine ihrer angenommen
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