1450 - Insel der Vampire
Karim war da. Er hatte sich mit dem Rücken gegen die Wand gedrückt. Sein bleiches Gesicht schimmerte wie ein Fleck in der Dunkelheit. Er bewegte seine Hände, griff damit nach irgendwelchen Dingen, die nicht vorhanden waren, und als Rosanna vor ihm stehen blieb, schüttelte sie nur den Kopf.
»Lass es!«
Karim keuchte. Er legte den Kopf in den Nacken. Aus großen Augen glotzte er zur Decke. Aus seiner Kehle stieg ein Röcheln. Der Hunger nach dem Lebenssaft der Menschen trieb ihn beinahe in den Wahnsinn.
»Du sollst es lassen!«
Karim jaulte auf. Mit einer heftigen Bewegung drehte er seinen Kopf nach links, sodass er Rosanna anschauen konnte. Es sah so aus, als wollte er sich auf sie stürzen, aber Rosanna kam ihm zuvor. Sie schlug ihm einige Male links und rechts ins Gesicht, sodass sein Kopf von einer Seite zur anderen flog.
Dann trat sie Karim die Beine weg.
Der Vampir brach auf der Stelle zusammen. Er heulte auf und wollte wieder hochkommen, aber Rosanna stellte einen Fuß auf seinen Körper und drückte ihn zurück.
»Du wirst nichts tun, verstanden? Ich weiß, wie es in dir aussieht. Ich kenne die Sucht nach Blut. Ich selbst erlebe sie immer wieder, und ich sage dir, dass du noch aushalten musst. Aber ich verspreche dir, dass es nicht so bleiben wird. Du wirst noch genügend Blut trinken können, und zwar schon bald.«
Der Vampir hatte alles gehört und wälzte sich nun auf den Rücken. Von unten her schaute er in das Gesicht der schwarzhaarigen Person, in deren dunklen Augen wieder dieses andere Feuer loderte, und Karim wusste genau, wie er sich verhalten musste.
Er gab auf.
Wimmernd blieb er liegen. Seine Handflächen schabten über den Boden hinweg. Ruhe würde er nicht finden können, das stand fest, aber Rosanna wollte auch nicht durch ihn gestört werden. Er musste anerkennen, wer hier das Sagen hatte.
Die folgende Nacht würde ihm die Nahrung bringen, das stand einfach fest.
Karim warf seiner Herrin einen fast schon hungrigen Blick nach, als diese sich zurückzog. Sie nahm wieder ihren Platz am Höhleneingang ein. Zuerst warf sie einen Blick zum Himmel und zeigte sich zufrieden.
Der Tag würde sich nicht mehr lange halten. Er neigte sich dem Ende entgegen. Das Grau am Himmel dunkelte noch mehr ein. Es war kälter geworden. Dieser Winter hielt fast ganz Europa fest in seinem Griff. Selbst bis in den Balken hinein waren die Minustemperaturen vorgedrungen, und auch in der Türkei hatte der Schnee seine Spuren hinterlassen.
Die Welt war eine andere geworden. Aber das konnte Rosanna egal sein. Sie sah nur aus wie ein Mensch, doch Kälte oder Wärme spürte sie nicht mehr.
Im Schutz der Höhle und eingehüllt von einer grauen Dunkelheit blieb sie weiterhin stehen und hielt den Blick auf das ebenfalls graue Meer gerichtet. Auch das Wasser sah jetzt dunkel aus. Nur war es nicht so düster, als dass es das einsame Schiff verschluckt hätte. Seinen Kurs hatte es nicht verändert. Der Wind trieb es auf die Küste zu. Es würde nicht lange dauern, bis es den Strand erreichte und mit seinem Kiel über Sand und Kies gleiten würde.
Rosanna lächelte. Sie hatte Zeit. Sie konnte warten.
Aber wenn es so weit war, würde sie eiskalt zuschlagen…
***
»War die Entscheidung richtig?«, fragte Hassan, der neben seinem Kumpan Sobec am Ruder stand und den Blick auf das Eiland gerichtet hielt.
»Das war richtig, verdammt!«
»Ich weiß nicht!«
Sobec lachte. Er war ein wilder Typ, der kleinen Kindern Angst einjagen konnte, wenn sie vor ihm standen. In seinem Gesicht wucherte ein schwarzer Bart wie Gestrüpp. Er verdeckte beinahe noch die feuchten Lippen. Sie sahen aus wie kleine, nasse Schläuche.
Auf dem Kopf trug Sobec eine Mütze. So fuhr der Wind nicht über die kahle Stelle hinweg. Die meisten Haare wuchsen rechts und links an seinem Kopf nach unten und lagen über den Ohren. Auch aus den Löchern der mächtigen Nase wuchsen schwarze Haare, aber das machte ihm nichts aus. Hier ging es nicht darum, einen Schönheitswettbewerb zu gewinnen, sondern nur um den Erfolg.
Und wenn er den hatte, dann spielte es keine Rolle, wie er aussah.
Da standen dann sogar die Weiber Schlange.
Sobec nannte sich selbst einen Veteranen, obwohl er erst fünfunddreißig Jahre alt war. Aber er hatte bereits seine Erfahrungen im Balkankrieg sammeln können, und die waren verdammt schlimm gewesen. Er hatte getötet, ohne darüber nachzudenken. Er hatte es einfach getan, und es war ihm auch egal gewesen, ob Frauen und
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