1453 - Die ruhelosen Engel
keinen Atem aus seinen Nasenlöchern strömen. Er blieb still, doch sein Blick war nach wie vor auf mich gerichtet, als wollte er mich abschätzen.
Es war für mich wichtig, die Ruhe zu behalten. Ich wollte ihn nicht erschrecken, ihn auch nicht provozieren, und deshalb ging ich nur langsam näher.
Keiner von uns sagte ein Wort. Ich spürte nur seine Nähe, denn das Kreuz stand auf meiner Seite. Dort, wo es hing, rann ein Kribbeln über meine Haut, aber ich ließ es noch dort hängen, wo es seinen angestammten Platz hatte.
Nach zwei Schritten blieb ich wieder stehen. Wenn wir jetzt miteinander redeten brauchte ich nicht so laut zu sprechen.
»Wer sind Sie?«
Er blieb mir die Antwort schuldig.
»Sie sind zurück? Aus der Welt der Engel? Warum haben Sie das getan? Hat man Sie und Ihre Freunde dort nicht mehr gewollt? Bitte, sagen Sie es mir. Sie können mir vertrauen.«
Er zögerte. Bis er plötzlich den Mund öffnete und mir etwas entgegen zischte.
Es war ein bösartig klingender Laut. Ich sah die Veränderung in seinen Augen. Es war darin so etwas wie Hass zu lesen, und einen Lidschlag später griff er mich an.
Er war so schnell, dass mir keine Gegenreaktion mehr gelang. Ich wollte ihn nur noch abwehren, doch das war nicht nötig, denn dicht vor mir stoppte er.
Wir starrten uns an.
Das Brennen auf meiner Brust nahm zu.
Ich wusste, dass ich mein Kreuz nicht mehr versteckt lassen durfte. Das schien auch die Gestalt mit den roten Augen zu merken, die jede meiner Bewegungen verfolgte, aber nicht zurückwich und auch keinen Schritt mehr näher kam.
Ich holte das Kreuz unter meiner Kleidung hervor und vernahm den lauten Schrei…
***
Man kann Schreie genau unterscheiden. Es können Rufe der Freude sein, aber auch welche, die Angst und Schrecken beinhalten.
Genau das traf hier zu!
Es war ein Angstschrei. Und er wurde von einer Veränderung des Gesichts begleitet, denn ich sah deutlich darin den Ausdruck des Schreckens.
Er hatte nicht Angst vor mir. Sie galt einzig und allein dem Kreuz.
Das passierte nicht grundlos. Es war wirklich nicht nur die Furcht vor dem Kreuz allgemein, hier ging es um etwas anderes. Obwohl ich es nicht direkt anschaute, war auch für mich das Glühen zu erkennen, das an den Enden meines Talismans erstrahlte, denn an den Seiten zeichnete sich der schwache Schein ebenfalls ab.
Die vier Buchstaben hatten reagiert. Sie waren die Initialen der Erzengel, und dass sie aufglühten bewies mir wiederum, dass die Gestalt vor mir auf keinen Fall ein normaler Engel war. Sie musste einen anderen Weg genommen haben. Sie kam angeblich von den Engeln, aber die starken Engel reagierten auf mein Kreuz anders.
Der unheimliche Besucher wich zurück. Der Schrecken auf seinem Gesicht blieb. Die roten Augen kamen mir dabei wie zwei Fremdkörper vor. Die gesamte Gestalt fing an zu zittern, als wollte sie sich auflösen, und mir wehten zudem leise Schreie entgegen.
Der Student warf sich herum. Das konnte er, weil ich nicht näher an ihn herangegangen war. Ich hatte es bewusst vermieden, denn ich wollte ihn nicht verletzen oder gar töten.
Er war schnell. Bevor ich reagieren konnte, hatte er schon die gegenüberliegende Tür erreicht und war in der nächsten Sekunde verschwunden.
Ich musste mich erst sammeln, was etwas dauerte, da ich durch die Begegnung überrascht worden war. Dann jedoch gab es kein Halten mehr für mich. Ich jagte der Gestalt nach, und ich hörte zugleich die Stimme meines Freundes.
Suko war an meiner Seite. Er hatte es nicht mehr ausgehalten, aber nicht genau mitbekommen, was da abgelaufen war. Gemeinsam mit mir huschte er durch die offene Tür, und wir wandten uns nach links, denn in diese Richtung war die Gestalt gelaufen. Sie rannte noch immer durch den Flur. Sehr schnell, kaum zu hören. Ihre Füße berührten den Boden zwar, aber es wirkte trotzdem so, als würden sie darüber hinwegschweben.
Konnten wir sie noch einholen?
Ich rechnete damit, und auch Suko startete, aber wir hatten trotzdem Pech. Ungefähr dort, wo sich der Beginn der Treppe befand, kippte der Student nach vorn. Er fiel einfach. Er würde die Stufen hinabrollen. Wir mussten etwas hören. Irgendwelche Schreie, wenn er aufschlug, aber da war nichts.
Lautlos war die Gestalt weg. Wir hörten nur unsere eigenen Trampelschritte, die Echos hinterließen, und als wir am Beginn der Treppe anlangten, hatten wir das Nachsehen.
Der Mann mit den roten Haaren war weg!
Ich ballte die rechte Hand, weil ich sauer über
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