146 - Der Schatz in der Tiefe
Aber einige berichteten von den langen Tagen der Gefangenschaft und von den Greueln, die sie hatten erdulden müssen. Einige Handvoll Priester hatten im Lauf der Jahre Tausende junger Ägypter gefangen.
Nun lag er also da, unter dem Netz, mit rasenden Schmerzen in den Gelenken. Er, der Große Seth- Hega-Ib.
Man schleppte ihn ins Dunkel des Tempels zurück.
Fast hätte ihn das Tageslicht seiner letzten, schwindenden Energien beraubt gehabt. Sie lernten schnell, jene Menschen, die an Götter glaubten und wußten, daß man die Dämonen bekämpfen mußte.
Ein Sarkophag stand bereit.
Er erkannte ihn, als er im Dunkel wieder genügend Lebenskraft gesammelt hatte. Mehr als hundert Priester säuberten seinen Tempel von den Zeichen seiner Herrschaft. Sie hatten alles auf das Beste vorbereitet: dünngehämmertes Silber, all die magischen Zeichen, die er während seiner Herrschaftszeit verboten und aus dem Wissen des Volkes ausgetilgt hatte - NEIN! Sie kannten sie noch! Niemals hatten sie die Ankhs wirklich vergessen, die Zeichen des Auges und des Skarabäus, die langen Reihen von Worten, die für jeden einfachen Menschen ohne Bedeutung waren, ihm aber schon bei der Vorstellung an ihren Klang brennende Schmerzen zufügten.
Er wand sich, verfluchte seine Peiniger, seine kraftlosen Finger versuchten, die Maschen des Netzes zu zerreißen. Ernst und mit kaltem Zorn .sahen die Priester zu und fuhren mit ihren Handlungen fort.
Er selbst, sein Geist, Verstand, all sein Wissen und Können, seine dämonische Persönlichkeit - sie blieben. Sehenden Auges erfuhr er die einzelnen Schritte seiner Peiniger. Sie waren klug und lernten schnell, die Menschen, wenn man ihnen Gelegenheit dazu gab.
Als sein Körper nur noch mehr als ein Drittel seines früheren Gewichts hatte, fingen sie an, ihn mit Binden zu umwickeln. Binden, die getränkt waren mit der flüchtigen Substanz eines tiefen, reinen Glaubens. Sein ausgedörrter Körper wurde zusammengeschoben, so daß er aussah wie ein Säugling im Leib der Mutter.
Schwarze Binden folgten; mit Nilwasser getränkt und voller Zeichen für Horus und Anubis, auf daß sie wußten, wer in diesem pergamentenen Hautbündel steckte.
Man senkte das straff gewickelte Bündel in den Sarkophag. Seth-Hega-Ib wußte, daß ihn schon jetzt ein undurchdringlicher Panzer aus gehämmertem Silber, geheiligtem Holz und ebensolchem Erdpech umgab. Sie beschwerten seinen Körper mit magischen Zeichen.
Dann senkten sie den Deckel auf die Kanten des Sarges und befestigten ihn mit silbernen Stiften.
Eines Tages, nach sehr langer Zeit, das wußte der Dämon mit unumstößlicher Sicherheit, würde all diese Magie nachlassen. Andere Überzeugungen erfüllten dann den Glauben der Menschen und würden Hilfsmittel im Kampf gegen andere Dämonen sein.
Sie meinten wohl, diese schweigenden Priester, sie hätten ihn getötet. Er lebte! Aber er war gefesselt, gebannt, eingeschlossen, unfähig, sich zu regen - auch alle seine Gedanken waren bei ihm und ließen sich nicht mehr hinausschicken.
Er lebte weiter: in der Schwärze und der Lautlosigkeit. Fernab von allem Leben.
Der Sarkophag wurde mit Erdpech vergossen. Silberblech kam darüber. Auf das Silber kam gehämmertes Gold. Und die priesterlichen Handwerker zeichneten mit den Meißeln und Sticheln all das auf die Außenseite des Gefängnisses, das sie als Beschwörung kannten:
Worte an die Götter.
Magische Zeichen, Flüche und Verwünschungen, Warnungen an die folgenden Geschlechter, die Abbildungen der hilfreichen Göttinnen und Götter. Die Gestalten wurden mit geschmolzenem Glas und sorgfältig gemischten Farben verziert, und der Sarkophag - den mühelos zwei starke Männer tragen konnten - war für die Ewigkeit verschlossen.
Möge er niemals das strahlende Antlitz des Re erblicken! sangen die Priester, als sie ihn an den Ort des Gerichts brachten.
Horus und Anubis legten das Wesen des Toten auf die Waage der Wahrheit. Gott Schu wog das Herz und sprach zu dem Gott Thot, der das Ergebnis erschrocken und voller Abscheu auf eine Tafel schrieb. Er teilte sein Urteil dem Osiris mit.
Die Verdammung erfolgte sofort.
Zu ewigem Durst und Hunger verurteilt.
Nachts wanderte aus dem Schwarzen Tempel eine lange Doppelreihe der Priester hinaus. Sie trugen Fackeln und sangen leise ihre Anrufungen.
Sie wanderten vom sumpfigen Ufer des Nils hinaus in die Dünen der Wüste. Nach und nach löschten sie ihre Fackeln, indem sie deren lodernde Köpfe in den Sand stießen. Die Sterne
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