1484 - Der Teufel von Venedig
sie war mir einer öligen Flüssigkeit bestrichen, die einen leichten Geruch nach Formaldehyd abgab, als wollte Claudia die Leiche für eine gewisse Zeit konservieren.
Sie lachte ihn leise an. »Du hättest dich auf meine Seite stellen und mitmachen sollen. Du hast es nicht getan. Es ist einzig und allein deine verdammte Schuld. Du warst nur gierig nach guten Geschäften und Gewinnen, aber nicht nach dem, was mir wichtig war. Ich habe dich oft genug gewarnt, aber du wolltest nicht an die Macht des Teufels glauben. Nun hast du sie am eigenen Leib zu spüren bekommen. Du glaubst doch nicht, dass er sich deine Seele hätte entgehen lassen? Nein, er wird sie mit Freuden aufgenommen haben und nie wieder loslassen. Mich aber hat er auf den richtigen Weg gebracht. Ich habe ihm zeigen können, wie sehr die Schönheit vergänglich ist, und irgendwann, wenn die Trauerfeier vorbei ist, werde ich dich mit auf das Meer nehmen und dich versenken. So lange kannst du noch hier sitzen und zuschauen…«
Carlo Amalfi hing auf dem Stuhl, sein Mund stand wie zum letzten Schrei geöffnet. Seine Augen blickten starr ins Leere. Sie waren nur noch blasse Gebilde.
Die kleine Ansprache hatte sein müssen. Claudia sprach immer mit ihrem toten Bruder, wenn sie in diesen Kellerraum hinabstieg.
Sie befand sich auf der Straße der Sieger, was man von Carlo nicht mehr behaupten konnte. Auch jetzt hatte sie ihre Pflicht getan und ging wieder zurück zu ihren vier Frauen.
Perfekte Gesichter. Eine sogar perfekte Kleidung. Große Puppen, die auf ihren Auftritt warteten.
»He, ihr Schönen, heute Nacht ist eure Zeit gekommen. In den nächsten Stunden erfolgt eure Bewährungsprobe. Da könnt ihr zeigen, was man euch gelehrt hat. Ich freue mich darauf. Ich werde euch in die Stadt schicken, aber nicht nur als die Schönen, denn ihr sollt den anderen auch euer wahres Gesicht zeigen.«
Sie lachte. Sie schüttelte den Kopf, und dann griff sie mit beiden Händen zu. Es reichte eine kurze Bewegung, um die Maske vom Gesicht des schönen Mädchens zu ziehen.
Plötzlich war das wahre Gesicht zu sehen, und man konnte es beim besten Willen nicht mehr als normal bezeichnen. Es war eine Fratze. Nicht verzerrt, sondern in den Zügen erstarrt, die sehr schief geworden waren. Die Proportionen des Gesichts hatten sich verschoben. Die Augen lagen nicht mehr auf einer Höhe, denn über der linken Stirnseite war die Haut gerissen und hatte das Auge in die Höhe gezogen.
Claudia tätschelte die Haut des Mädchens. »Perfekt, meine Liebe, du bist in der Tat die perfekte Tote.«
Die Tote reagierte nicht. Das hatte Claudia auch nicht erwartet. Sie trat an die nächste heran und entfernte auch von ihrem Gesicht die Maske.
Erneut verschwand die Schönheit, und Claudia Amalfi fühlte sich auf eine gewisse Weise erleichtert. Es ging alles so glatt und perfekt, sie befand sich auf dem richtigen Weg.
Als sie die nächste Maske abnahm, da summte sie die Melodie der bekannten Barkarole aus der Oper »Hoffmanns Erzählungen«. Auch in diesem Stück spielte Venedig eine Rolle.
Die Masken legte sie nicht zu Boden, sondern in die Schöße der vier Toten. Sie trat zurück und nickte ihnen zu.
»Ich habe mein Vertrauen in den Teufel gesetzt. Jetzt setze ich mein Vertrauen in euch. Ihr hab seine Macht gespürt. Ihr seid die lebenden Toten. Ihr werdet in Venedig Zeichen setzen als Liebesdienerinnen der Hölle. Noch in dieser Nacht werdet ihr euren Weg durch die Kanäle finden und große Freude empfinden…« Sie klatschte in die Hände, drehte sich dann zur Treppe um und rief mit lauter Stimme den Namen ihres Dieners.
»Arno!«
»Si?«
»Komm zu mir, denn unsere Freundinnen warten auf dich. Macht diese Nacht zu einer besonderen…«
***
Unser Plan stand fest. Zumindest für Suko und mich. Commissario Orbino allerdings hatte Bedenken, die er nicht gern aussprach. Wir sahen nur seinem Gesichtsausdruck an, dass er sich quälte und wie er immer wieder den Kopf schüttelte.
Wir saßen vor einem kleinen Bistro in einem recht hoch gelegenen Arkadengang. Unter uns schlug das Wasser des Kanals seine letzten Wellen, die ein durchfahrendes Boot hinterlassen hatte.
Vor uns standen die kleinen Tassen mit dem Espresso. Über uns schaukelten Lampen, die die Form von Birnen hatten, was schon etwas kitschig wirkte.
Dafür hatten wir keinen Blick. Für uns waren die nächsten Stunden wichtig, und die mussten wir mit dem Commissario absprechen. Er hatte uns ein kleines und wendiges Boot
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