1484 - Der Teufel von Venedig
über der Stadt. Es gab nichts mehr zu hören, was die Menschen aus ihrer Ruhe hätte reißen können. Kein Gondoliere sang, keine Sirenen irgendwelcher Boote hallten durch die Stadt. Die Stille der Nacht wurde nur von den üblichen Lauten unterbrochen.
Arno hatte genau das getan, was man von ihm verlangt hatte. Er hatte das Boot direkt unter dem Ausstieg angeleint. Die Tür oberhalb davon stand offen, und der Reihe nach kletterten vier Gestalten die Sprossen hinab. Sie wurden von Arno erwartet, der sie wie Kinder an die Hand nahm und sie zu einer Sitzbank führte.
Sie ließen sich alles gefallen. Sie stiegen nach unten, und als sich die Letzte von ihnen auf ihren Platz gesetzt hatte, erschien in der Wandöffnung Claudia Amalfis Gesicht. Sie schaute nach unten, um zu kontrollieren, ob alles glatt über die Bühne lief.
Arno schien zufrieden, denn sie sah, dass er ihr zuwinkte.
Sie gab das Zeichen zurück, und Arno wusste, dass einer Abfahrt nichts mehr im Wege stand.
Die Hälfte des Boots wurde von einer Regenschutzplane bedeckt.
Es war sehr wichtig, denn diese Plane gab den vier Gestalten, deren wahre Gesichter wiederum durch die Masken verdeckt waren, einen gewissen Schutz.
Alles lief reibungslos. Der Motor sprang an, kaum dass Arno den Schlüssel gedreht hatte. Sofort war der Kanal von einem gewissen Lärm erfüllt und am Heck breitete sich der Schaum aus, als das Boot Fahrt aufnahm. Arno freute sich, wieder mal unterwegs sein zu dürfen. Jetzt gehörte Venedig ihm und seinen Begleiterinnen. Er konnte sich wie der Schatten des Todes in der Stadt bewegen und er hätte am liebsten seiner Freude durch laute Jubelschreie Ausdruck verliehen. Doch das ließ er bleiben. Er und seine Freundinnen befanden sich auf einer Kaperfahrt, denn er wusste sehr wohl, dass seine Chefin gern alle zehn Stühle besetzt hätte. Deshalb mussten die Frauen nach neuen Opfern Ausschau halten.
Sie glitten durch den Kanal auf dessen Ende zu. Noch war die Nacht dazu angetan, die Menschen ins Freie zu locken, um zu essen und zu trinken, und wer die Venezianer kannte, der wusste, dass sie dazu jede Gelegenheit wahrnahmen.
Über den Canal Grande wollte er nicht fahren. Auf ihm herrschte auch um diese Zeit noch viel Verkehr, und er wollte zudem nicht in eine Polizeikontrolle geraten, denn besonders die Bullen waren in der Nacht unterwegs.
Die Suche nach Nachschub allein zählte. Und deshalb hatte Arno seine Blicke überall. Hin und wieder sickerte Licht aus den Fenstern der Häuser. Es gab der Wasseroberfläche einen gelblichen Schein.
Dann sahen manche Wellen aus wie mit Goldpuder bestäubt.
Er wusste auch, dass es eine der letzten Nächte war, in der sich die Liebespaare auf dem Wasser tummelten. Oft vertäuten sie ihre kleinen Boote an versteckt liegenden und einsamen Orten unter irgendwelchen Brücken.
Ab und zu kam ihnen ein Boot entgegen. Um sichtbar zu sein, hatten die kleinen Schiffe Positionsleuchten gesetzt. Auch Arno hatte darauf nicht verzichten dürfen, aber bei ihm leuchtete nur eine Lampe, die am Heck befestigt war. Wenn er vorn Licht haben wollte, schaltete er den beweglichen Scheinwerfer ein.
Das tat er jetzt wieder, denn er glaubte, an einer schmalen Kanalkreuzung eine Bewegung auf dem Wasser gesehen zu haben. Das war auch der Fall. Ein kleines Boot tuckerte in eine bestimmte Richtung. Für einen Moment wurde es vom hellen Licht übergossen, als Arno den Scheinwerfer hatte aufleuchten lassen.
Der Passagier fuhr in die Höhe, und Arno lachte, als er sah, dass es sich um eine junge Frau handelte. Ihr bleiches Gesicht war deutlich zu sehen.
Sofort verlosch das Licht wieder.
Aber Arno hatte genug gesehen. Das würde das Opfer sein. Eine fünfte junge Frau. Wenn ihn nicht alles täuschte, war es sogar eine Asiatin gewesen. Er tippte auf eine Japanerin.
Langsam tuckerte er mit seiner Fracht der Kreuzung entgegen. Er lenkte sein Boot nach links, denn dorthin war das andere verschwunden. Er wusste auch, dass man sich hier auf dem Wasser gut verstecken konnte, denn in der Nähe gab es einen Anlegeplatz für Gondeln. Sie standen zwar dicht an dicht, aber hin und wieder gab es Lücken, in die auch ein anderes kleines Boot hineinpasste, wenn es nicht zu breit war.
Die Wellen klatschten jetzt härter gegen sein Boot, als er in den breiteren Kanal fuhr. Und er hatte wieder das Glück, sein Opfer sehen zu können, denn das kleine Boot wurde tatsächlich zwischen die Gondeln mit ihren Schnabelhälsen manövriert.
Weiter wollte
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