1484 - Der Teufel von Venedig
Venedig ist auch ein tolles Pflaster. Morbide, immer von Geheimnissen umgeben. Die Musik, die Wellen, die Gassen, die Gondeln, das hat schon was.«
»He, du kannst ja poetisch sein!« rief ich.
»Ich habe nur ein wenig geschwärmt.«
»Allmählich entwickelst du dich zu einem Europäer. Oder nicht?«
»Kann sein. Aber Venedig ist wirklich schön.«
»Keine Frage.« Da brauchte ich nicht mal zu lügen, denn ich hatte mich schon mehrmals in der Lagunenstadt aufgehalten. Ob es eine Geistergondel oder ein alter Henker gewesen war, selbst diese Fälle hatten der Stadt ihre Faszination nicht nehmen können.
Ich leerte die Tasse und schaute das Telefon an, wie jemand, der es hypnotisieren wollte. In mir zuckte es, ich wollte endlich mit den italienischen Kollegen reden, und die Verbindung kam tatsächlich zustande, denn nicht mal eine Minute später meldete sich das Telefon und ich vernahm die Stimme eines gewissen Mario Orbino.
Da er auch Englisch sprach, kam mir das entgegen. Er begrüßte mich wie einen alten Freund. Suko, der mithörte, schüttelte dabei sogar den Kopf.
»Endlich können wir beide mal reden, Mr. Sinclair.«
»Haben Sie sich das so gewünscht?«
»Man erinnert sich noch an Ihr Auftreten hier in der Lagunenstadt.«
»Es liegt lange zurück.«
»Trotzdem haben Sie hier Ihre Spuren hinterlassen. Schließlich wurden die Fälle aufgeklärt.«
»Das ist wohl wahr.«
»Aber jetzt wird es problematisch.«
»Ich weiß, Commissario Orbino.«
»Bitte, sagen Sie Mario.«
»Gut, dann bin ich John.«
»Okay, John. Ich habe mir das Foto ausdrucken lassen.«
»Was sagen Sie dazu?«
»Es ist mir nicht unbekannt gewesen, wenn ich das mal so andeuten darf.«
»Aber Sie haben nicht reagiert.«
»Bitte, John, bitte. Nicht gleich mit dem Hammer. Wir hätten reagiert, aber gewisse Umstände ließen es nicht zu. So muss man das sehen. Deshalb möchte ich um Nachsicht bitten. Diese Frau ist nicht die Einzige, deren Verschwinden uns vor Probleme stellt. Es gibt noch andere, die wir vermissen. Aber nie waren es welche aus der Stadt. Immer Touristinnen. Sie sind auch nicht gefunden worden. Wir haben nur die Vermisstenanzeigen bekommen.«
»Und keine Frau tauchte wieder auf?«
»So ist das leider.«
»Was wollen Sie tun?«
»Wir arbeiten hart, aber im Geheimen. Wenn die Presse Wind davon bekommt, werden wir einen immensen Imageschaden haben. Dann bleiben die Touristen aus und es wird das große Wehklagen beginnen.«
»Das kann ich mir denken.«
»Deshalb mussten wir behutsam vorgehen, John. Und das werden wir auch weiterhin tun.«
»Sie sagten wir?«
»Ja, wir, denn ich denke, dass Sie uns bald besuchen werden. Die Chefs haben sich kurzgeschlossen. Da können Sie sich ja beim besten Willen nicht quer stellen.«
Ich lächelte. »Und das will ich auch nicht.«
»Sehr schön. Wenn Sie wissen, wann Sie fliegen, geben Sie mir Bescheid. Ich hole Sie dann am Flughafen ab.«
»Wir werden zu zweit sein.«
»Noch besser. Ist es Suko?«
»Gratuliere. Sie kennen sich aus.«
»Ich freue mich. Und ich glaube, dass wir es gemeinsam schaffen, diesen Teufel zu fassen.«
»Das hoffe ich ebenfalls.«
Ich wollte schon auflegen, als Glenda das Büro betrat. Ihrem Gesichtsausdruck sah ich an, dass sie eine wichtige Nachricht hatte. Ich bat den Commissario um einen Moment Geduld und erfuhr, dass wir schon am heutigen Nachmittag starten konnten. Wir würden dann am frühen Abend auf dem Flughafen Marco Polo landen.
Ich gab dem Kollegen die genaue Ankunftszeit durch und schaute auf Glenda, die verlegen lächelte.
»Hast du was?«
»Ja, ich beneide euch.«
Suko dämpfte ihren Eifer. »Erst mal abwarten, was uns dort erwartet«, sagte er. »Es kann auch der Teufel sein…«
***
Bei den Nachtfahrten durch die Kanäle hatte der Gondoliere Roberto immer ein gutes Geschäft gemacht. Das war allmählich vorbei, denn der Sommer ging dem Ende entgegen. Der Herbst lag auf der Lauer, was vor allen Dingen in der Nacht zu spüren war. Da konnte der Wind schon verdammt kalt werden. Und kein Passagier in der Gondel ließ sich gern diesen Wind ins Gesicht blasen.
So hatte Roberto seine letzten Passagiere abgesetzt – vier Amerikaner, die ihm auf den Geist gegangen waren und unheimlich viel geredet hatten.
Jetzt hatte er Ruhe und konnte das Boot zu seinem Liegeplatz lenken.
In den engen Gassen der Stadt ballten sich schon erste Schatten.
Nur auf dem Wasser schimmerte noch matt die Helligkeit des rötlichen Himmels, der
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