1492 - Vampir-Attacke
nicht der Fall. Wobei ich davon überzeugt war, dass es sich um Ramon handelte, der auf der Suche nach Nahrung gewesen war.
Waking sprach weiter: »Der Zeuge bleibt bei seiner Aussage, und sie klingt verdammt überzeugend, wobei sich mir die Frage stellt, wie so etwas überhaupt passieren kann.«
»Deshalb sind wir ja hier, Sergeant«, sagte ich.
»Klar, ich weiß. Ich habe genug von Ihnen gehört. Es spricht sich eben herum, wenn Kollegen sich um Fälle kümmern, die eigentlich völlig verrückt sind.«
Ich nickte. »Wie verhält sich Keene denn?« hakte ich nach.
Waking hatte auch dichte Augenbrauen, und die zogen sich zusammen. »Er verhält sich ruhig. Aber es gibt trotzdem einen Unterschied zu anderen Häftlingen.«
»Welcher ist das?«
»Er hat Angst, große Angst. Er kann nicht vergessen, was er gesehen und erlebt hat, und er hat davon gesprochen, dass es zu einer Wiederholung kommen könnte.«
»Aber nicht hier.«
Waking hob nur die Schultern.
Ich schlug leicht die Hände zusammen. »Dann wäre es am besten, wenn wir mit ihm sprechen könnten.«
»Gut.« Waking stand auf. »Muss ich dabei bleiben? Ich habe noch zu tun. Da gibt es einen Fall, der mich seit drei Tagen beschäftigt und…«
»Kümmern Sie sich nur darum«, sagte ich. »Das andere übernehmen wir. Wichtig ist, dass wir mit Keene reden können.«
»Okay, ich bringe Sie hin.«
Keene hielt sich in einer Zelle auf. Dort war er in Sicherheit. Er hockte auf einer Bank und starrte auf die Tür, die der Sergeant auf schloss. Als Keene sah, dass er Besuch von drei Leuten bekam, verkrampfte er sich auf seiner Bank. Nicht nur der Körper nahm eine abwehrende Haltung ein, mit seinem Gesichtsausdruck geschah das Gleiche. Sein Misstrauen sprang uns förmlich entgegen.
Der Sergeant stellte uns vor.
Was nicht oft passierte, trat bei diesem jungen Mann ein. Er zeigte sich erleichtert, auch zu hören durch sein Aufatmen. Er zeigte auch keine Furcht, als sich der Sergeant zurückzog und die Tür nicht schloss.
Keene war ein junger Mann, der in seinem Leben bestimmt nicht oft an der Zuckerstange geleckt hatte. Er war recht kräftig, hatte die breiten Schultern eines Muskelbudenbesuchers, einen harten Zug um den Mund und eine leicht gelbliche Gesichtsfarbe. Seine Lippen waren blass, die Augen dunkel wie sein Haar.
Noch bevor wir etwas sagen konnten, sprach er uns an.
»Ich habe die verdammte Wahrheit gesagt. Alles hat sich so abgespielt, wie ich es zu Protokoll gegeben habe. Auch wenn mich alle für einen verdammten Lügner halten.«
Suko stellte etwas richtig. »Davon haben wir nichts gesagt. Würden wir Sie für einen Lügner halten, säßen wir nicht hier.«
»Ach!« flüsterte er und bekam große Augen. »Dann glauben Sie an einen fliegenden Menschen?«
»In diesem Fall schon.«
Nach dieser Antwort wusste Keene nichts zu sagen. Er lehnte sich zurück, bis er die Wand im Rücken spürte, und schaute ab und zu zum Waschbecken.
»Es wäre am besten, wenn Sie uns von Beginn an alles so erzählen, wie Sie es erlebt haben.«
»Gut.« Er musste überlegen. Recht unbeholfen fing er an, und wir hörten den Namen einer jungen Frau, die Laura Willis hieß. Er und der Koreaner hatten sie getroffen.
»Zufällig?« fragte ich.
»Nein, das war schon Absicht.«
»Dann haben Sie auf diese Laura Willis gewartet.«
»Genau.«
»Warum?«
Bisher waren die Antworten flüssig gekommen. Jetzt wollte er nicht so recht mit der Sprache heraus, und wir mussten schon einige Male nachhaken, bevor wir zu hören bekamen, dass es um Geld ging, das Laura ihnen noch schuldete.
Diese Aussage nahmen wir hin. Richtig glauben konnten wir sie nicht. Geld zu schulden ist die eine Sache. Es aus einem Menschen herauspressen eine andere.
Aber darum ging es nicht. Deshalb ließen wir das Thema auch links liegen und beschäftigten uns mit der Sache, die wirklich wichtig war. Durch gezielte Fragen fanden wir heraus, was in der vergangenen Nacht geschehen war. Auch für uns war es schwer zu begreifen, aber Keene sprach mit einer derartigen Intensität, dass wir ihm einfach Glauben schenken mussten.
Als er davon berichtete, wie sein Kumpan gestorben war, überkam ihn noch jetzt das große Zittern.
»Und ich bin Zeuge gewesen«, flüsterte er mit rauer Stimme. »Verstehen Sie das? Ich war Zeuge! Ich habe alles gesehen, und das weiß auch die andere Seite. Verdammte Scheiße, was soll ich denn jetzt machen? Ich weiß, dass man mich auf der Liste hat. Man muss einen Zeugen
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