1499 - Rattenwelt
Geländer.
Der untere Raum war recht groß. Er nahm die gesamte Fläche ein.
Weitere Türen sahen wir nicht, dafür sah die Umgebung rechts von uns aus wie eine kleine Werkstatt, in der getöpfert und auch mit Holz gearbeitet wurde. Wir sahen dort niemanden, denn die Person hielt sich in der anderen Haushälfte auf.
Sie saß dort im Schneidersitz inmitten einer Unzahl von dicken Kissen, die ihr als Couch dienten. Sie waren nicht miteinander verbunden. Man konnte sie nehmen und immer neue Wohnlandschaften bilden.
»Kommt ruhig näher, bitte. Ihr könnt euch auch setzen. Platz ist genug vorhanden. Seid nicht so scheu. Ich werde euch schon nichts antun.« Sie lachte, und es klang, als würde eine kleine Glocke bimmeln.
Jane ging weiter vor. Ich hielt ihr den Rücken frei. Nur gab es dafür keinen ersichtlichen Grund, denn nirgendwo lauerte ein Angreifer auf uns. Und es wies auch nichts darauf hin, dass es sich bald ändern würde. Ratten entdeckten wir auch nicht, es gab nur die Frau, die im weichen Schein der Lampe saß.
Wenn man einen Vergleich anstellen wollte, dann konnte man auf den Gedanken kommen, eine Madonna vor sich zu haben. Das lange schwarze Haar reichte ihr bis weit über die Schultern. Möglicherweise war die Haarfarbe der Grund, weshalb ihr Gesicht so blass wirkte. Die Kleidung war ebenfalls dunkel. Es war ein langes, tiefblaues Kleid, das ihren Körper verdeckte. Einen Ausschnitt gab es nicht, denn es zeigte sich am Hals recht hoch geschlossen.
Wer die Sängerin Cher mochte, der konnte auch an Clara Seymour Gefallen finden, denn ihr Gesicht hatte schon eine gewisse Ähnlichkeit mit dem der Künstlerin.
Sie lächelte uns an und präsentierte dabei das Weiß ihrer Zähne.
Dann breitete sie die Arme aus und wies auf die Kissen. »Bitte«, sagte sie dabei mit leiser und angenehm klingender Stimme. »Nehmt Platz. Ich freue mich immer über Besucher.«
Wer sie so sah, der kam bestimmt nicht auf den Gedanken, sie mit Ratten in Verbindung zu bringen. Der sah sie mehr als eine Frau, die ihren Weg abseits der ausgetretenen Lebenspfade ging.
Wir ließen uns nicht täuschen. Zu oft hatten wir schon so manchem angenehm wirkenden Menschen die Maske vom Gesicht reißen müssen, und das konnte auch in diesem Fall so werden.
Etwas war doch auffällig. Für mich war es der Geruch. Er kam mir fremd vor. Es roch irgendwie streng. Nun wusste ich nicht, wie Ratten rochen, aber normal war dieser Geruch nicht für mich, der den gesamten unteren Bereich einnahm.
Jane und ich ließen uns auf die Kissen sinken, die unter unserem Gewicht nachgaben. Clara Seymour schaute uns dabei zu und lächelte freundlich. Ihr dunklen Augen befanden sich dabei in ständiger Bewegung, als wollte sie sich kein Detail entgehen lassen.
»Ihr wisst sicherlich, wer ich bin – oder?«
Jane Collins nickte, bevor sie mich und sich selbst vorstellte.
»Aha.« Clara legte den Kopf leicht schief. »Ihr seid aber nicht von hier – oder?«
»Nein, das sind wir nicht. Wir kommen aus London, hatten in der Nähe zu tun, und jetzt hat uns der Zufall praktisch hier vorbeigeführt. Wir hörten auch, dass Sie hier leben und handwerklich sehr geschickt sind. Wie man ja auch sehen kann.«
»Danke.«
»Keine Ursache.«
»Im Moment pausiere ich, und deshalb gibt es auch keine neuen Dinge, die ich zu verkaufen habe. Das tut mir leid, aber es ist so. Ich beschäftige mich zurzeit mit anderen Dingen, die mir wichtiger erscheinen.«
»Darf ich fragen, womit Sie sich beschäftigen?«
»Ja, das dürfen Sie. Mit dem Verhältnis der Menschen zu den Tieren. Ich untersuche es. Ich will wissen, wie sich die Menschen zu den Tieren verhalten…«
»Und wie lautet das Ergebnis?« fragte Jane.
Das Gesicht der schwarzhaarigen Frau nahm einen leicht traurigen Ausdruck an. »Es ist leider sehr schlimm«, erklärte sie, »und ich denke, dass es noch schlimmer wird, wenn man nicht achtgibt und dem nicht Einhalt gebietet.«
Ein trauriger Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. »Das ist leider so. Tut mir leid, wenn ich das sagen muss. Die Menschen sind zu egoistisch. Sie denken nur an sich und entziehen sich der Naturgemeinschaft. Das kann nicht gut gehen.«
»Und was ist mit den Tieren?«
Clara Seymour lächelte Jane an. »An ihnen sollten sich die Menschen ein Beispiel nehmen. Kein Tier tötet einfach nur aus Lust oder um einen Vorteil zu erreichen. Wenn ein Löwe satt ist, kann die Gazelle ruhig neben ihm stehen. Er würde sie nicht angreifen. Beim Menschen jedoch
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