15 Gruselstories
übersehenden Unzulänglichkeiten seiner Frau. Als ich ihm von Daisys Vorliebe für Schauergeschichten erzählte, zog er seine Frau prompt mit ihrer eigenen Schüchternheit auf. Obwohl sie wüßte, daß die ganze Geschichte ein ausgemachter Schwindel wäre, würde sie immer ängstlicher. Nichts könnte sie dazu bringen, nach Anbruch der Nacht in das bewußte Zimmer zu gehen – sie tat so, als gäbe es den Geist wirklich.
Mrs. Keenan warf den Kopf in den Nacken und zischte ärgerlich. Sie stritt das alles ab. Sie würde selbstverständlich jederzeit nach oben gehen. Und mit jederzeit meinte sie natürlich auch nach Anbruch der Nacht!
»So? Und wie wäre es zum Beispiel jetzt? Es ist fast Mitternacht. Warum bringst du der armen, kranken Frau nicht eine Tasse Kaffee hinauf?« Keenan sagte das in einem Tonfall, als wolle er Rotkäppchen zu der armen alten Großmutter schicken.
»Bitte machen Sie sich keine Umstände«, beeilte ich mich zu sagen. »Der Regen hat etwas nachgelassen. Ich werde nach oben gehen und meine Frau holen. Wir können jetzt getrost weiterfahren. Sie wissen doch, daß wir noch nach Valos wollen.«
»Denken Sie ja nicht, daß ich Angst habe«, meinte Mrs. Keenan störrisch. Sie hantierte schon klappernd mit dem Kaffeetopf herum. Ihre Bewegungen waren allerdings ein bißchen fahrig, als sie eine Tasse füllte.
»Daß ihr Männer nichts weiter könnt, als über eure Frauen zu meckern. Ich werde es euch beweisen!« Sie nahm die Tasse und ging sehr aufrecht an ihrem Mann vorbei.
Mir wurde auf einmal himmelangst.
Ich wurde stocknüchtern.
»Keenan«, flüsterte ich.
»Was denn?«
»Wir müssen sie aufhalten, Keenan.«
»Aber warum denn?«
»Sind Sie nachts schon einmal nach oben gegangen?«
»’türlich nich«, lallte er. »Wozu auch? Isso staubig. Muß aber den Dreck liegenlassen für die lieben Be-Besucher. Was soll ich oben? Geh’ nachts nie rauf.«
»Woher wollen Sie dann wissen, daß die Geschichte nicht stimmt?« fragte ich und beugte mich vor.
»Was?«
»Ich meine – vielleicht gibt es einen Geist.«
»Quatsch!«
»Keenan, ich habe oben etwas Unheimliches gespürt«, sagte ich eindringlich. »Sie haben sich schon so sehr an den Raum gewöhnt, daß Sie nichts merken. Aber ich habe es gefühlt .«
»Quatsch!«
Ich packte seinen Arm. »Kein Quatsch! Ich habe den Haß einer Frau gefühlt, Keenan. Den Haß einer Frau!« Ich schrie fast.
Ich zerrte den Widerstrebenden vom Stuhl hoch und versuchte ihn auf den Gang hinauszuschieben. Ich mußte irgendwie seine Frau aufhalten. Mich überkam eine panische Angst.
»Der Raum ist von einer unausgesprochenen Drohung erfüllt.« Meine Stimme überschlug sich fast, als ich ihm hastig von meinen Gedanken, die ich mir nachmittags über die tote Frau gemacht hatte, berichtete. Die Frau, die ihrem Mann ahnungslos in das Mordzimmer gefolgt war und in der, in dem Augenblick, als sie erschlagen wurde, ein Haß geboren wurde, der ihren Körper überlebt hat. Ein Haß, der sich immer wieder Genugtuung verschaffen muß, ein Haß, der die Axt hochheben und niedersausen läßt.
»Quatsch!«
»Lassen Sie Ihre Frau nicht hinauf«, schrie ich wie von Sinnen. »Halten Sie sie auf!«
»Und was ist mit Ihrer Frau?« kicherte Keenan. Er schielte mich von der Seite an und schien etwas zu überlegen. Dann kicherte er wieder und lallte in seinem Suff: »Jetzt will ich Ihnen mal was sasagen, was ich gar nich sagen wollte. Iss nämlich alles Schwindel.« Er zwinkerte mir vertrauensselig zu.
Ich achtete nicht darauf, sondern schob ihn weiter energisch auf die Treppe zu.
Er wurde langsam etwas nüchterner und schnaufte. »Nun mal langsam! Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe? Es ist alles Schwindel! Nicht nur die Sache mit dem Geist! Nichts stimmt! Es hat niemals weder einen Ivan Kluva noch
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