15 Gruselstories
Seine Hände zuckten, und in seinen Augen glomm ein böses Feuer, das zur lodernden Flamme wurde, als seine Wachen das alte verhutzelte Weib ins Zimmer stießen. Man hatte sie im Sumpf, in der Nähe ihres Altars, aufgegriffen.
Auf seinen Befehl hin brachten die Wachen die alte Hexe, die sich wehrte und wie eine Wildkatze um sich biß und kratzte, nach unten. Dann zogen sich die Wachmänner zurück und ließen sie mit ihrem Sohn allein. Allein in der Folterkammer. Keiner hörte, wie sie ihren Sohn verfluchte, als sie auf der Folterbank festgeschnallt war. Keiner sah sein vor Wut verzerrtes Gesicht, seinen irrsinnigen Blick und das große silberne Messer in seiner Hand …
Der Präsident verbrachte während der nächsten Tage einige Stunden in der Folterkammer. Er war kaum noch im Palast zu sehen und hatte Anweisungen gegeben, daß er nicht gestört werden wolle. Als er am vierten Tag zum letztenmal die verborgene Treppe hinaufstieg, war das wahnsinnige Feuer aus seinen Augen verschwunden.
Es wird sich nie herausstellen, was sich in diesem Verlies wirklich zugetragen hat. Das ist vielleicht auch ganz gut so. Denn der Präsident war im Grunde seines Herzens immer ein Wilder geblieben, und die Wilden geraten in Ekstase, wenn sie die Qual ihrer Feinde verlängern können …
Es wird jedoch berichtet, daß die alte Hexe mit ihrem letzten Atemzug ihren Sohn mit dem Schlangenfluch behaftet hat; und dieser Fluch ist der schlimmste von allen. Aber aus dem Verhalten des Präsidenten kann man sich ungefähr vorstellen, was in der Folterkammer passiert war, denn er hatte einen bösen Humor und einen makabren Sinn für Vergeltung. Seine Mutter hatte erst eine Wachsfigur nach dem Ebenbild seiner Frau angefertigt, ehe sie sie getötet hatte. Er beschloß, etwas zu tun, was in derselben Richtung lag.
Als er zum letztenmal die verborgene Treppe heraufkam, sahen seine Diener, daß er eine große Kerze in der Hand trug; eine Kerze, die aus Menschenfett hergestellt war. Und da kein Mensch je wieder seine Mutter zu Gesicht bekam, lagen gewisse Vermutungen auf der Hand, woher er das Menschenfett gewonnen haben könnte. Aber aus gutem Grund wagte niemand, eine Frage zu stellen …
Das Ende der Geschichte ist rasch erzählt.
Der Präsident kehrte direkt zu seinen Amtszimmern im Palast zurück und stellte die Kerze in einen Ständer auf seinem Schreibtisch. Ihn erwartete viel Arbeit, denn er hatte in den letzten Tagen seine Pflichten reichlich vernachlässigt. Trotzdem saß er jetzt erst minutenlang schweigend an seinem Schreibtisch und starrte die Kerze mit einem zufriedenen, unergründlichen Lächeln an, ehe er sich über seine Papiere beugte.
Er arbeitete die ganze Nacht über und hatte befohlen, daß während dieser Zeit zwei Posten vor seiner Tür Wache standen. Er brütete bei Kerzenschein – beim Licht jener Kerze, die aus Menschenfett hergestellt war – über seiner Arbeit. Der Fluch seiner Mutter schien ihn nicht im mindesten zu beunruhigen. Er war zufrieden, daß er seinen Blutdurst gestillt hatte, und hielt die Möglichkeit einer Rache für ausgeschlossen. Er war nicht so abergläubisch, anzunehmen, daß die Hexe aus dem Grab zurückkehren könnte. Er saß ruhig und gelassen an seinem Schreibtisch und erweckte ganz den Eindruck eines zivilisierten Mannes. Die Kerze flackerte und warf unheilvolle Schatten in den Raum. Er bemerkte es nicht – bis es zu spät war!
Als er schließlich aufblickte, sah er, daß sich die Kerze aus Menschenfett schlängelte und zu grauenhaftem Leben erwachte.
Der Fluch seiner Mutter …
Die Kerze aus Menschenfett – lebte ! Es war ein gewundenes gekrümmtes Etwas, das sich voller böser Absichten
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