15 Gruselstories
Talquist auffordern zu wollen, die mit Gras bewachsenen Wege zu den Gipfeln zu erklimmen, um von oben in die Täler zu schauen, in denen einst die Lämmer ihren Gott umtanzt haben sollen. Es gefiel ihm, daß er fast daran war, diese alten Geschichten zu glauben, und er beschloß, nach seiner Rückkehr eine Abhandlung über den griechischen Aberglauben zusammenzustellen. Zumindest die Landbevölkerung hier glaubte immer noch an die Mythen von Pan und den Waldgeistern.
Da Talquist fließend griechisch sprach, fiel es ihm nicht schwer, mit den Bewohnern der ärmlichen Ansiedlungen Kontakt zu bekommen. Sie hießen ihn in ihren Hütten herzlich willkommen und erzählten ihm längst vergessene Geschichten und Sagen.
In einer dieser abgelegenen Waldsiedlungen war es dann auch, daß Roger Talquist Papa Lepolis kennenlernte. Papa Lepolis war ein hochgewachsener, patriarchalischer Alter mit den faltigen klassischen Gesichtszügen eines Seefahrerkönigs von Kreta. Er versprach dem dunklen, ernstblickenden jungen Wissenschaftler, daß er ihm einen verborgenen Altar zeigen wolle, an dem sein Volk einst zu den Waldgöttern gebetet hatte.
Dieser Altar befände sich in einer Grotte, die tief im Wald versteckt wäre. Dort sollten die primitiven Eingeborenen lange vor der Zeitrechnung die Götter der Natur verehrt haben. Die Ruinen, die es dort gäbe, wären nur wenigen Menschen bekannt, denn die Einheimischen würden den Ort, an dem sich die Grotte befindet, geheimhalten, weil sie befürchteten, daß sie der griechischen orthodoxen Kirche ein Dorn im Auge sein könnte. Doch er, Papa Lepolis, könnte sich vorstellen, daß die dort vorhandenen Steine und Gravierungen für einen Archäologen sehr interessant und aufschlußreich wären.
»Führen Sie mich zu der Grotte«, sagte Talquist eifrig. »Ich muß sie sehen.«
Lepolis wurde plötzlich nachdenklich und strich sich mit der Hand über den Bart.
»Ich weiß nicht, ob ich es wagen soll, Mr. Talquist.«
»Wagen?« fragte Roger Talquist erstaunt.
»Sie und ich – wir sind moderne Menschen. Wir fürchten uns nicht vor dem, wovor die unwissenden Einheimischen hier zittern.«
»Die anderen haben Angst? Gibt es denn etwas in der Grotte, wovor sie sich fürchten müßten?«
Lepolis blickte zu Boden. »Nichts – vielleicht nichts. Aber vor dem Altar in der Grotte haben sich die Menschen einst vor Pan verneigt. Und sie haben noch mehr getan –« Talquist blickte den Alten erwartungsvoll an.
»Ja«, fuhr Lepolis langsam fort, »wenn man den alten Legenden Glauben schenken darf, dann haben Pans Anbeter eine ganze Menge mehr getan, als sich nur vor ihrem Gott verneigt. Sie haben – Opfer dargebracht.«
»Sie meinen Tiere?«
»Nein, Mr. Talquist, ich meine keine Tiere. Die Waldgötter wollten Menschen. Sie stillten ihren göttlichen Appetit mit dem warmen, lebendigen Fleisch junger Mädchen und Burschen.«
Talquist lächelte und machte eine geringschätzige Handbewegung. »Na, und wenn schon! Vor Tausenden von Jahren sind viele Menschen in Grotten den Göttern zum Opfer gebracht worden. Das weiß ich. Also, was soll’s? Es braucht sich doch niemand zu fürchten, nur weil hier vor Ewigkeiten Blut vergossen worden ist.«
»Mein junger Freund, Sie mögen es zwar wissen, aber Sie verstehen es nicht. Haben Sie eine Ahnung, warum solche Opfer dargebracht worden sind? Wissen Sie, an was die Menschen damals glaubten?«
»Nein«, mußte Talquist zugeben. Die Stimme des alten Mannes sank zum Flüstern hinab. »Man sagt, daß die Götter manchmal in Menschengestalt erschienen sind und dann wieder als wilde Tiere. Wenn Schäfer oder einsame Wanderer in den Bergen auf die alten Waldgötter stießen, verwandelten sie
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