15 Gruselstories
im Umgang mit Kräutern hatte sie ihrem Sohn eine Chance in der Welt verschafft. Das reichte ihr. Sie war zufrieden.
Acht Jahre vergingen, ehe der junge Mann zurückkam. Er hatte sich in der Zwischenzeit beachtlich verändert. Nach seiner Rückkehr bevorzugte er den Umgang mit Weißen und hellhäutigen Mischlingen in Port-au-Prince. Man sagt, daß seine alte Mutter für ihn nicht mehr existierte. Im Kreise seiner neuen Freunde wurde ihm unangenehm bewußt, wie ungebildet und einfältig seine Mutter doch war. Zudem war er ungemein ehrgeizig und legte überhaupt keinen Wert darauf, daß seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu dieser notorischen Hexe bekannt wurden.
Denn auf ihre Art war sie ziemlich berühmt. Keiner wußte, woher sie eigentlich kam und wer ihr ihre Fähigkeiten verliehen hatte. Trotzdem war ihre verfallene Hütte in den Bergen jahrelang der Anziehungspunkt für Hilfesuchende und der Treffpunkt von Teufelsanbetern und den Verehrern dunkler Götter. An ihrem verborgenen Steinaltar in den Bergen rief sie die dunklen Mächte an, wobei sie ständig von einer Schar von Anhängern umgeben war. In mondlosen Nächten stieg ihr rituelles Feuer zum nächtlichen Himmel empor; Ochsen wurden zerrissen und auf grausame Weise den schleichenden Wesen der Nacht‹ zum Opfer gebracht. Denn sie war eine ›Priesterin der Schlange‹.
Der Schlangengott gehörte zu den wichtigsten Gottheiten des Kultes ›Schatten des Todes‹. Die Schwarzen in Dahomey und Senegal hatten die Schlange seit Menschengedenken angebetet. Sie hatten ihre eigene Art, dieses Reptil zu verehren; für sie gab es einen verborgenen Zusammenhang zwischen der Schlange und dem Neumond.
Der Schlangenaberglaube ist etwas Seltsames. Die Schlange taucht schon im Paradies als Versucherin auf, und dann weiß die Bibel noch von Moses und seinen Schlangen zu berichten. Und der Gott der Hindus war eine Kobra. Man scheint in der ganzen Welt die Schlangen gleichermaßen gehaßt und verehrt zu haben. Und immer schienen sie das Symbol des Bösen darzustellen. Die Indianer glaubten an die Macht der Schlangen, und die Azteken folgten ihrem Beispiel.
Die afrikanischen Legenden über die Anbetung der Schlangen sind schon furchtbar, aber sie werden von den Zeremonien auf Haiti bei weitem in den Schatten gestellt.
Zur Regierungszeit des Präsidenten sollten einige der Zauberer in den Bergen die Schlangen regelrecht gezüchtet haben. Die Gerüchte besagten, daß sie sie direkt von der Elfenbeinküste herübergeschmuggelt hätten, um sie für ihre Zwecke zu benutzen. Es waren Geschichten im Umlauf, denen zufolge zehn Meter lange Pythonschlangen Kinder verschluckt hätten, die ihnen am Schwarzen Altar als Opfer gereicht wurden. Andere Geschichten besagten, daß giftige Schlangen zu den Gegnern der Anbeter geschickt würden, damit sie diese töteten.
Da es erwiesen ist, daß von Anhängern eines Kultes, die Gorillas anbeteten, einige Menschenaffen ins Land geschmuggelt worden waren, erhebt sich die Frage, warum die Legende mit den Schlangen nicht auch stimmen sollte.
Wie dem auch sei: Die Mutter des Präsidenten war eine Priesterin. Und sie war auf ihre Art genauso berühmt wie ihr distinguierter Sohn.
Er hatte seit seiner Rückkehr Stufe um Stufe der Leiter zur Macht erklommen. Zuerst war er Steuereintreiber, dann Schatzmeister, und schließlich wurde er Präsident. Einige seiner Rivalen starben unter merkwürdigen Begleitumständen. Nach einiger Zeit hielten es seine Widersacher für zweckmäßiger, ihren Haß ihm gegenüber zu verbergen. Denn sie fanden sehr schnell heraus, daß er im Grunde seines
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