15 Gruselstories
hin und herbewegte.
Die Flamme leuchtete intensiv auf und nahm plötzlich ein erschreckendes Aussehen an, das sich unter den erstaunten Blicken des Präsidenten in ein wildes Gesicht verwandelte – in das Gesicht seiner Mutter! Das kleine, schrumplige Gesicht war von Flammen umgeben und schien sich mühelos zu bewegen.
Die Kerze schien auf eigenartige Weise zu schmelzen, denn sie wurde immer länger. Sie wuchs und wuchs und schlängelte sich zielbewußt und fordernd auf den Mann zu.
Der Präsident von Haiti schrie gellend auf – aber es war zu spät!
Er starrte hypnotisiert in die immer größer werdende Flamme und war unfähig, sich von der Stelle zu rühren. Er schrie und schrie!
Er schrie auch dann noch, als die Kerze zu rußen anfing und flackernd am Verlöschen war. Der Raum versank in eine unheilvolle Dunkelheit, die von einem einzigen Stöhnen erfüllt war. Das qualvolle Stöhnen kam aus dem Mund eines Mannes, der geschlagen und besiegt wurde. Dann wurde das Stöhnen schwächer und schwächer …
Als die Wachen den Raum betraten und Licht anmachten, war alles still und vorbei.
Die Wachen wußten von der Kerze aus Menschenfett und dem Fluch der Hexe, die die Mutter ihres Gebieters gewesen war. Deshalb waren sie auch die ersten, die den Tod des Präsidenten von Haiti bekanntgaben. Sie schossen ihn zuerst noch in die Schläfe und unterrichteten dann die Bevölkerung davon, daß der Präsident Selbstmord begangen hätte.
Seinem Nachfolger erzählten sie jedoch die wahre Geschichte, worauf dieser sofort die Hexenverfolgungen einstellte, denn er gedachte, recht lange am Leben zu bleiben, und war ebenfalls ein gescheiter Mann …
Die Wachen hatten ihm erklärt, daß sie den Präsidenten in die Schläfe geschossen hatten, um seinen Tod als Selbstmord erscheinen zu lassen. Und der Nachfolger wollte alles vermeiden, um sich dem Schlangenflucht nicht auszusetzen.
Denn der Präsident von Haiti war von der Kerze aus dem Fett seiner Mutter erwürgt worden. Als man ihn fand, war die Kerze wie eine Riesenschlange um seinen Hals gewunden.
Das Zeichen des Satyrs
Roger Talquist hatte immer gewußt, daß er eines Tages nach Griechenland zurückkehren würde. Diesen Plan hatte er schon in seiner Kindheit gefaßt und ihn auch in all den Jahren nie aufgegeben. Seit dem Tage, an dem ihn sein Vater wieder nach England auf die Schule geschickt hatte, hatte er die Schönheit der fremden Berge, die die Schäfer so oft besungen hatten, niemals vergessen können. Und als er später Archäologie studierte, interessierte ihn einzig und allein Griechenland. Er träumte von den purpurnen Hügeln und den Marmorruinen, die in den fahlen Glanz eines vollen, elfenbeinfarbenen Mondes getaucht waren.
Er mußte ganz einfach Griechenland wiedersehen!
Und als er eines Tages hörte, daß eine Gruppe Oxforder Akademiker an einem Tempel des Gottes Poseidon Ausgrabungen vornehmen wollte, schloß er sich impulsiv der Expedition in das Land seiner Kindheit an.
Sobald er jedoch an Ort und Stelle war, erlahmte sein Interesse an der wissenschaftlichen Arbeit. Er erfüllte die ihm zugeteilten Pflichten routinemäßig und ohne große Begeisterung.
Aber in seiner Freizeit lebte er auf! Er nutzte jede freie Stunde aus und durchstreifte das wilde Land hinter dem Hafen von Mylenos. Er brauchte nicht lange zu wandern, bis er in den geheimnisvollen Bergen und den schattigen Wäldern war.
Das tiefe Schweigen, das ihn umgab, ließ sein Herz schneller schlagen, denn er mußte an die alten heidnischen Geschichten denken, die ihm die Bauern erzählt hatten.
In den Wäldern lebten Nymphen und schwebten Harpyien. Die Höhenzüge schienen Roger
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