15 Gruselstories
immerhin besser, als zu sterben.«
Was faselte dieser Alte da? War er jetzt völlig verrückt geworden? Lepolis’ Stimme wurde jetzt schrill. »Vergessen Sie nicht, daß ich Sie gewarnt habe! Ich wollte Sie daran hindern hierherzukommen. Aber Sie haben darauf bestanden! Ich bin sehr schwach. Ich weiß, daß es Altersschwäche ist. Aber ich will nicht sterben! Ich habe Angst vor dem Tod! Ich will ewig leben – auch wenn es in einer veränderten Gestalt sein müßte! Und darum, Mr. Talquist, ist jetzt, wo wir vor dem Altar stehen, die Zeit gekommen …«
Das Weitere geschah so schnell, daß es Talquist völlig unerwartet traf. Als Lepolis redete, war er immer dichter an ihn herangetreten. Und plötzlich blitzte aus einem der zerlumpten Ärmel ein Messer auf! Mit einer Schnelligkeit, die man dem Alten gar nicht zugetraut hätte, hob er das glänzende Messer in die Höhe und ließ es mit großer Kraft niedersausen.
Talquist konnte gerade noch rechtzeitig beiseite springen. Doch der Alte lachte nur irre und packte mit hartem Griff Talquists Kehle. Er preßte Talquist gegen den kalten Steinaltar und hob das Messer erneut. Die Klinge zitterte in der Luft. Als Lepolis seinen Griff etwas lockerte, erkannte Talquist mit Eiseskälte im Herzen, daß er sterben mußte.
Da löste sich Roger Talquists Starre. Die Todesangst verlieh ihm eine fast übermenschliche Kraft. Er hob seinen freien Arm und bekam das Handgelenk des alten Mannes zu fassen. Er stieß sich mit einem Ruck vorwärts und drehte Lepolis Handgelenk so um, daß nunmehr der Alte gegen den Stein fiel. Er rang mit dem kreischenden Patriarchen, der sich mit der Kraft eines Wahnsinnigen wehrte. Lepolis stieß mit dem Messer in rasender Wut und Angst besinnungslos zu. Vor Talquists Augen flimmerte es, denn der Schmerz brannte wie Feuer.
»Großer Pan, steh mir bei!« schrie der Alte. Als er mit einer gewaltigen Kraftanstrengung das Messer erneut hob, drehte Talquist die Hand des anderen um, und die Klinge sauste nach unten. Sie grub sich tief in Lepolis’ faltigen Hals. Als der röchelnde Alte sterbend zurücksank, schoß ein roter Blutstrahl über den Steinaltar.
Talquist taumelte entsetzt zurück. Er war wie betäubt von den unerwarteten Ereignissen der letzten Minuten. Vor seinen Augen flimmerte es, und alles drehte sich. Die Erde unter ihm schien zu beben, und die schweren Steine schienen zu tanzen. Die Dunkelheit vertiefte sich, und Talquist hörte in seiner wilden Phantasie unter seinen Füßen einen grollenden Donner.
Dann war der Schock vorbei, und Talquist hatte sich wieder in der Gewalt. Er starrte in Gedanken versunken auf den toten Mann auf dem Altar.
Lepolis hatte ihn hierhergelockt, weil er an die Mythen, die er erzählt hatte, selber glaubte. Er hatte versucht, Talquist auf dem Altar zu töten, damit er dafür vielleicht von den Göttern das Geschenk des ewigen Lebens erhielte, auch wenn es ein Leben nicht in Menschengestalt wäre. Lepolis war wahnsinnig. Das Ganze war ein sehr bedauerlicher unglückseliger Vorfall. Talquist wandte sich ab. Er mußte seinen Weg aus dem Dickicht zurückfinden. Und zwar sehr schnell. Aber was war das?
Vor seinen Füßen glitzerte etwas matt. Talquist bückte sich und hob es auf. Seltsam, daß er das vorhin bei seiner Suche nicht gesehen hatte. Er hielt es gegen das Licht des blutroten Sonnenunterganges. Es war ein achteckiges Medaillon mit einem grünen Stein. Es war abgenutzt und schien sehr alt zu sein. Das Medaillon hing an einer Kette aus echtem Gold und sollte offensichtlich um den Hals getragen werden.
Das alles registrierte Roger Talquist nur im Unterbewußtsein, denn seine Blicke und seine Gedanken beschäftigten sich mit der erschreckenden
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