15 Gruselstories
bemühte mich auf der einen Seite ehrlich, alle Fragen zu beantworten, vermied es aber auf der anderen Seite ängstlich, die verrückten, übernatürlichen Dinge zu erwähnen. Ich hütete mich, etwas von Schatten und Dämonen, die stärker und stärker werden, zu erzählen. Sie waren es, die etwas von einer Liebe, die über das Grab hinausreicht, murmelten. Sie kamen zu dieser Schlußfolgerung, wobei sie natürlich dachten, daß er versucht hatte, zu ihr zu gelangen.
Ich erwähnte auch nichts von den Morden. Was hätte es für einen Sinn gehabt, diese Geschichte jetzt aufzurollen?
Vielleicht kam ihnen aber selbst der Gedanke, denn sie entschlossen sich, das Grab aufzuschaufeln und den Sarg zu öffnen.
Wenn sie es nur nicht getan hätten! Dann hätte ich meine Geschichte aufrechterhalten können und ich wäre immer überzeugt gewesen, daß ich Joe und seine Phantasie richtig eingeschätzt hatte.
Sie schaufelten und arbeiteten sich durch die feste Erde, die seit zehn Monaten von keines Menschen Hand berührt worden war.
Als sie den Sarg geöffnet hatten, untersuchten sie Donna, oder das, was von ihr übriggeblieben war, sorgfältig. Aber es ließen sich keine Merkmale finden, die auf Mord schließen lassen konnten. Es war nicht der geringste Beweis vorhanden.
Das wäre noch erklärlich gewesen. Aber es gab überhaupt keine Erklärung dafür, was sie noch in dem vollständig erhaltenen, fest verschlossenen Sarg fanden. Neben Donna ruhte der kleine Körper eines Neugeborenen. Er war so tot wie Donna selbst.
Oder genauso lebendig.
Ich kann es nicht so genau sagen. Ich weiß es nicht. Ich weiß überhaupt nichts mehr.
Auf der Polizei prasselten natürlich die Fragen auf mich nieder. Fragen, auf die es keine Antwort gab – oder zumindest keine Antworten, die sie geglaubt hätten.
Sollte ich ihnen vielleicht sagen, daß Donna so versessen darauf war, Joe für sich zu haben, daß selbst der Tod diesem Verlangen kein Ende bereitete? Sollte ich ihnen sagen, daß sie vor ein paar Stunden bei Joe erschienen war und ihn mit stolzer Stimme aufgefordert hatte, nach Forest Hills zu kommen, damit er sich ihr gemeinsames Kind ansähe?
Ich konnte es ihnen nicht sagen. Einfach aus dem Grund, weil unnatürliche Wesen wie Dämone und Geister nicht existieren. Und ein Schatten kann nicht sprechen. Er kann sich nicht selbständig bewegen und die Arme ausstrecken. Oder vielleicht doch?
Ich weiß es nicht.
Ich liege jetzt im Bett. Die Flasche neben mir ist leer, und ich starre zur Decke. Vielleicht sehe ich einen Schatten. Oder mehrere Schatten …
Ihr sehr ergebener
Jack the Ripper
Ich schaute diesen Bilderbuch-Engländer an. Er schaute mich an.
»Sir Guy Hollis?« fragte ich.
»Ganz recht. Habe ich das Vergnügen, mit John Carmody, dem Psychiater, zu sprechen?«
Ich nickte. Meine Augen glitten über die Gestalt meines distinguierten Besuchers. Er war groß und hager, hatte strohblondes Haar und den traditionellen buschigen Schnurrbart. Selbstverständlich trug er einen Tweedanzug. Ich hatte ihn in Verdacht, daß er in seiner Westentasche ein Monokel verbarg, und fragte mich, ob er seinen Stockschirm im Vorzimmer gelassen hatte.
Aber vor allen Dingen fragte ich mich, was, zum Teufel, Sir Guy Hollis von der Britischen Botschaft veranlaßt haben könnte, einen völlig fremden Psychiater hier in Chicago aufzusuchen.
Es wurde mir auch nicht klar, als Sir Guy Hollis Platz genommen hatte. Er räusperte sich, sah sich nervös um und klopfte seine Pfeife an der Seite meines Schreibtisches aus.
»Mr. Carmody«, begann er dann hastig. »Haben Sie schon einmal etwas von – Jack the Ripper gehört?«
»Sie meinen den Mörder?«
»Ja, den Mörder. Das größte Ungeheuer aller
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