15 Gruselstories
menschlichem Ermessen mußte sich sein Körper schon vor vielen, vielen Jahren in Staub verwandelt haben.
Aber die menschliche Logik und Vernunft lassen uns im Stich, wenn uns die Dunkelheit mit aller Macht zum Bewußtsein kommt; wenn wir ahnen, was die Dunkelheit alles verbergen kann. Wenn die Masken von den Gesichtern fallen und sich Gedanken und Absichten ins Herz einschleichen, die so finster wie die Dunkelheit selber sind …
Sir Guy Hollis schrie auf.
Dem Schrei folgte ein dumpfer Aufschlag.
Als Lester Baston das Licht angeschaltet hatte, schrien alle auf.
Sir Guy Hollis lag mitten im Zimmer auf dem Fußboden ausgestreckt. Seine Hand umklammerte immer noch den Revolver.
Ich schaute von einem zum anderen und staunte, wie verschieden die Ausdrucksfähigkeit der Menschen ist, wenn sie einem grauenhaften Geschehen gegenüberstehen.
Ich vermißte kein Gesicht in der Runde. Keiner war geflohen. Und Sir Guy Hollis lag am Boden …
LaVerne Gonnister jammerte und verbarg ihr Gesicht in den Händen.
»Das wär’s!«
Sir Guy sprang auf und lächelte.
»Das war ein kleines Experiment, meine Freunde. Wenn sich Jack the Ripper unter Ihnen befunden hätte und gedacht hätte, ich sei ermordet worden, würde er sich, sobald das Licht anging, irgendwie verraten haben.
Ich bin jetzt von der Unschuld jedes einzelnen überzeugt. Ich habe mir nur einen kleinen Scherz erlaubt, meine Freunde.«
Baston glotzte Sir Guy an. Auch die anderen schauten nicht gerade geistreich drein.
»Wollen wir gehen, John?« wandte sich Sir Guy an mich. »Ich glaube, es ist spät geworden.«
Als wir gingen, sagte keiner ein Wort.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß an diesem Abend die Party noch sehr lustig geworden ist.
Ich hatte mich mit Sir Guy für den nächsten Abend an einer Straßenecke von South Halsted verabredet.
Nach den Ereignissen der letzten Nacht war ich so ziemlich auf alles vorbereitet. Sir Guy stand in einen dunklen Hauseingang gepreßt und erwartete mich bereits.
»Buh!« machte ich und sprang plötzlich auf ihn zu.
Er lächelte. Aber seine rasche Handbewegung verriet mir, daß er instinktiv zur Waffe gegriffen hatte.
»Wir wollen also jetzt das Phantom aufspüren, nicht wahr?« fragte ich mit leisem Lächeln.
»Ja«, nickte er. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie auf diese Verabredung eingegangen sind, ohne viel zu fragen. Das beweist mir, daß Sie Vertrauen zu meinem Unternehmen haben.« Er nahm meinen Arm und zog mich auf die Straße. Wir gingen langsam weiter.
»Es ist heute sehr neblig, John«, murmelte Sir Guy nach einer Weile. »Wie in London …«
Ich nickte.
»Für November ist es auch schon beachtlich kalt.«
Ich nickte wieder und schlug automatisch den Mantelkragen hoch.
»Seltsam«, murmelte Sir Guy versonnen. »November und Londoner Nebel. Die Zeit und der Schauplatz der Ripper-Morde.«
Ich grinste ihn durch die Dunkelheit an. »Aber darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß das hier Chicago und nicht London ist? Es ist außerdem nicht der November 1888 . Wir schreiben das Jahr 1963.«
Sir Guy erwiderte mein Grinsen ohne Fröhlichkeit. »Ich bin da nicht so ganz sicher«, sagte er leise. »Schauen Sie sich doch nur einmal um. Die Gassen sind genauso eng und winklig und schmutzig wie in East End. Und ganz gewiß sind sie fünfundsiebzig Jahre alt, wenn nicht älter.«
»Aber wir sind nicht in East End, sondern im Negerviertel in der South Clark Street«, bemerkte ich trocken. »Und warum Sie mich in diese gottverlassene Gegend geschleift haben, ist mir immer noch nicht klar.«
»Es ist eine fixe Idee von mir«, gab Sir Guy zu. »Oder nennen Sie es eine Vorahnung, John. Ich möchte hier in dieser Gegend herumstreifen. Die Gassen hier gleichen denen, in denen sich Jack the Ripper herumtrieb und
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