15 Gruselstories
bildeten auf alle Fälle einen gordischen Knoten, den ich kaum zu lösen vermochte.
Als ich meine Wohnung erreichte, hatte ich mich auch zu einem Entschluß durchgerungen. Ich mußte Leo aus meinem Leben streichen. Es sei denn …
Er erwartete mich vor der Wohnungstür.
Es ist so einfach, logisch zu denken und nüchtern die Konsequenzen zu ziehen – wenn man allein ist. Aber dann nimmt einen jemand in seine Arme, und man fühlt, daß man dorthin gehört; und dann verspricht einem dieser Jemand, daß alles ganz anders werden wird, daß er sich ab sofort ändern wird, weil er einen liebt und nicht ohne einen leben kann. Wo bleibt die Logik und Nüchternheit, wenn die Dämmerung hereinbricht und später die Sterne funkelnd am nächtlichen Himmel stehen?
Ich muß jetzt sehr genau werden. Es ist wichtig, daß ich mich genau an die Tatsachen halte. Ich will Ihnen berichten, was am nächsten Nachmittag geschah, als ich zu ihm in seine Wohnung ging.
Die Tür war, wie immer, unverschlossen, und ich hatte irgendwie das Gefühl, nach Hause zu kommen. Ich hatte dieses Gefühl, bis ich sah, daß die Schiebetür zu dem anderen Raum geschlossen war, bis ich auf die Tür zuging, bis ich die Musik hörte … Leo und Mr. Steinway spielten wieder.
Wenn ich sage, daß ich die Musik hörte, so stimmt das nicht ganz. Genausowenig wie man den schrillen Angstschrei eines Menschen als Sprache bezeichnen würde. Wie soll ich mich ausdrücken? Die Töne, die vom Flügel her kamen, mußten mit den Lauten Ähnlichkeit haben, die Leo als Schwingungen bezeichnete. Mit einemmal glaubte ich Leo zu verstehen.
Ich hörte das Trompeten der Elefanten, ich hörte das Ächzen der Zweige im Nachtwind, das Splittern gefällter Bäume, das Zischen glühenden Metalls und wieder das Trompeten der Elefanten. Es waren keine Geräusche im eigentlichen Sinne. Es waren – Schwingungen. Die tote Materie war nicht mehr tot. Mr. Steinway lebte.
Als ich die Tür aufstieß, verebbten plötzlich die Geräusche. Mr. Steinway schwieg. Und er war allein.
Jawohl, er war allein. Ich täuschte mich nicht.
Und Leo saß in der äußersten Ecke des Zimmers. Er hockte zusammengesunken auf einem Stuhl und hatte wieder seine Totenmaske aufgesetzt.
Er konnte unmöglich in diesem Augenblick aufgehört haben zu spielen und durch das Zimmer gerast sein, um auf dem Stuhl zusammenzusinken. Und noch viel weniger konnte er das Allegro komponiert haben, das Mr. Steinway gespielt hatte.
Ich rüttelte Leo wach und sank in seine Arme. Ich erzählte ihm schluchzend, was ich gerade gehört hatte. Aber er zuckte nur die Achseln und murmelte: »So etwas kann vorkommen. Jetzt hast du es wenigstens einmal selbst erlebt. Glaubst du nun, daß Mr. Steinway existiert, daß er sich bemerkbar machen kann, daß er kein lebloses Ding, sondern eine eigene Persönlichkeit ist? Ich habe dir doch gesagt, daß es eine Verständigung auf Gegenseitigkeit ist. Er kann meine Kräfte anzapfen, um sich selber stark zu machen. Wenn ich mich gehenlasse, übernimmt er meine Funktion. Hast du es eben nicht selbst erlebt?«
Das hatte ich. Ich versuchte, meine Furcht zu unterdrücken und meiner Stimme Festigkeit zu verleihen. »Komm mit mir in das andere Zimmer«, sagte ich. »Jetzt. Sofort. Beeile dich und stelle keine Fragen.«
Ich wollte keine Fragen hören, weil ich ihm nicht eingestehen wollte, daß ich mich fürchtete, in Mr. Steinways Gegenwart zu sprechen. Denn Mr. Steinway konnte hören; und er war eifersüchtig.
Mr. Steinway sollte nicht hören, wie ich zu Leo sagte: »Du mußt ihn loswerden. Es ist mir völlig gleichgültig, ob er lebendig ist oder ob wir beide verrückt sind. Wichtig ist nur, daß du ihn loswirst. Und zwar sofort. Geh von ihm fort. Laßt uns zusammen davonlaufen.«
Er
Weitere Kostenlose Bücher