15 Gruselstories
es sein mag, kein Wort mehr sprechen. Bist du nun zufrieden? Da sich Mr. Steinway noch nicht so recht an mich gewöhnt hat, kannst du ihm sagen, daß er mich …«
Irgendwie brachte es Leo fertig, mich aus der Wohnung in den Sonnenschein des Central Parks und in seine Arme zu bringen. Ich beruhigte mich. Seine Stimme war sanft, und die Vögel zwitscherten. Ich fühlte mich wohl und wollte alles andere vergessen.
Leos Stimme war auch dann noch sanft, als er sagte: »… du bist der Wahrheit sehr nahegekommen, Liebling. Ich weiß, daß es für jeden, der sich nicht mit dieser Materie beschäftigt hat, sehr schwer ist, es zu verstehen. Aber Mr. Steinway ist in gewisser Weise wirklich lebendig. Ich kann mich mit ihm verständigen, und er kann es mit mir.«
»Soll das heißen, daß du dich mit ihm unterhältst und daß er sich mit dir unterhält ?«
Ich glaubte langsam, den Verstand zu verlieren, und hatte das dringende Bedürfnis, in die Wirklichkeit zurückzukehren. Ich atmete erleichtert auf, denn sein Lachen brachte mich in die Wirklichkeit zurück. Seine Worte hinwiederum waren nicht so sehr beruhigend.
»Ich kann mich natürlich nicht im üblichen Sinne mit ihm unterhalten. Die Verständigung geschieht über eine bestimmte Schwingungsfrequenz. Ich habe dir das System schon im Prinzip zu erklären versucht, Liebling. Ich möchte nicht, daß du mich für einen Schulmeister hältst, aber das Ganze ist wirklich eine Wissenschaft und keine versponnene Idee.
Hast du dir je überlegt, aus wieviel verschiedenen Materialien ein Flügel zusammengesetzt ist? Nein? Zum Bau eines solch empfindlichen Instrumentes sind Hunderte von Einzelteilen erforderlich. Wenn man sich diese Tatsache einmal vergegenwärtigt, könnte man einen Flügel auch als einen ›Musikroboter‹ bezeichnen. Zuerst einmal braucht man Dutzende von verschiedenen Hölzern, die im Alter sehr unterschiedlich sein müssen. Diese werden mit Filz, Häuten, Lack, Metall, Elfenbein und vielen anderen Dingen verarbeitet, wobei jeder einzelne Gegenstand eine bestimmte Schwingungsfrequenz besitzt. Das Ganze bildet dann eine zusammengefaßte eigene Schwingungsfrequenz, die man erfühlen muß, um sich mit ihm vertraut machen zu können.«
Mir schwirrte allmählich der Kopf. Aber ich bemühte mich krampfhaft, Leos Ausführungen zu folgen, um vielleicht doch irgendwo einen Sinn in dem Ganzen zu entdecken. Ich wollte zu gerne glauben, ganz einfach, weil Leo daran glaubte.
»Es ist ein Jammer«, fuhr Leo fort, »daß sich so wenig Menschen mit dieser Wissenschaft beschäftigen. Sie werden nie erfahren, wie lebendig unsere Umgebung ist. Sie sind so borniert, daß sie bei den sogenannten ›leblosen Dingen‹ eine Intelligenz für unmöglich halten.
Ich aber habe im Zusammenhang mit der Sonnenwissenschaft viel gelernt. Ich bin in der glücklichen Lage, mich mit diesen ›leblosen Dingen‹ in Verbindung setzen zu können. Wundert es dich, daß ich mich ganz besonders auf Mr. Steinway, der mit meinem Leben so eng verbunden ist, konzentriert habe? Es war nicht leicht, aber es ist mir gelungen, mit Mr. Steinway in Verbindung zu treten. Und ich kann dir versichern, daß diese Verständigung nicht einseitig ist.« Leo redete natürlich viel mehr, und er gebrauchte andere Formulierungen. Aber ich begriff den Sinn seiner Worte. Und im selben Augenblick wurde mir klar, daß mit Leo irgend etwas nicht stimmte.
»Es läßt sich nicht leugnen«, hörte ich ihn sagen, »aber Mr. Steinway hat wirklich eine eigene Persönlichkeit. Und diese Persönlichkeit steigert sich, je mehr ich in der Lage bin, mich mit ihm in Verbindung zu setzen. Wenn ich übe, übt Mr. Steinway. Wenn ich spiele, spielt Mr. Steinway. Im gewissen Sinne ist
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