15 Gruselstories
es Mr. Steinway, der eigentlich spielt. Ich bringe nur den Mechanismus in Gang. Ich weiß, Dorothy, daß es dir unglaubwürdig erscheint, wenn ich dir sage, daß sich Mr. Steinway weigert, gewisse Stücke zu spielen. Aber ich mache keinen Spaß. Es gibt auch einige Konzertsäle, die er nicht leiden kann. Er ist ein sensibler Künstler, aber glaube mir, er ist ein großer Künstler! Ich erkenne sein Talent genauso an, wie ich mich seinen Aversionen beuge.
Laß mir Zeit, Liebling – bis ich ihm deine Existenz und deine Rolle in meinem Leben vermittelt habe. Ich werde mich über seine Eifersucht hinwegsetzen; aber kannst du letzten Endes seine Eifersucht nicht verstehen? Warte, bis ich ihm über die Schwingungsfrequenz alles genau erklärt habe. Und halte mich bitte nicht für verrückt, Liebling. Glaube mir, ich leide nicht an Halluzinationen.«
Ich stand ruckartig auf. »Also gut, Leo, ich will dir glauben. Aber alles weitere liegt bei dir. Ich will dich nicht eher wiedersehen bis – bis du einiges geklärt hast.«
Meine hohen Absätze klapperten eilig über den mit Steinplatten belegten Weg. Er machte keine Anstalten, mir zu folgen. Eine dunkle Wolke verdeckte die Sonne. Ich zog die Schultern hoch und fröstelte plötzlich.
Ich ging schnurstracks zu Harry. Er war immerhin Leos Manager und sollte eigentlich Bescheid wissen. Aber ich merkte sehr rasch, daß Harry überhaupt nichts wußte. Deshalb verstummte ich auch abrupt, um nicht zuviel zu sagen. Nach Harrys Ansicht war Leo absolut normal.
»Es sei denn, du denkst an die Geschichte mit seiner Mutter«, meinte Harry nach einigem Nachdenken. »Der Tod der alten Dame hat ihn ganz schön mitgenommen. Du weißt, wie die Mütter von Stars sind. Sie hat jahrelang die Reklametrommel für ihren Sohn gerührt und alle unangenehmen Dinge von ihm ferngehalten – nebenbei gesagt, die angenehmen auch, denn Leo gehörte nur ihr allein. Und als sie dann plötzlich starb, war Leo eine Zeitlang völlig am Boden zerstört. Aber er hat sich längst wieder gefangen. Leo ist ein großartiger Künstler, und er ist immer mehr im Kommen.«
Soviel erfuhr ich von Harry. Es war weiß Gott nicht viel. Oder doch?
Es war immerhin so viel, daß ich auf meinem Nachhauseweg darüber nachdachte. Da gab es also den kleinen Leo Weinstein, das Wunderkind, und seine Mutter, die in anbetete. Sie hatte ihn gehegt und gepflegt, sie hatte ihn von allen Ablenkungen ferngehalten und darauf geachtet, daß er übte und sich weiterbildete. Sie hatte sich um alles gekümmert und alle Wege so für ihn geebnet, daß er völlig abhängig von ihr wurde. Und als dann der brave Knabe seinen ersten Konzertabend gab, hatte sie ihm Mr. Steinway geschenkt.
Natürlich war für Leo die Welt zusammengestürzt, als seine Mutter starb. Es gehörte nicht viel dazu, um sich das vorzustellen. Aber er begann in dem Augenblick wieder aufzuleben, als er sich an das Geschenk seiner Mutter klammerte. Mr. Steinway war in der Tat mehr als nur ein Flügel. Aber auf andere Art, als Leo es mir weiszumachen versuchte. Mr. Steinway nahm den Platz seiner Mutter ein. Und seine Persönlichkeit hatte weniger mit Schwingungsfrequenzen als mit einem Ödipuskomplex zu tun.
Ich sah jetzt alles in einem anderen Licht. Wenn Leo auf der Couch lag und den Eindruck eines Toten erweckte, dann kehrte er in seiner Phantasie in den Schoß seiner Mutter zurück. Und seine ›Verständigungsmöglichkeiten‹ mit leblosen Dingen war nichts weiter als der Versuch, mit seiner Mutter auch über das Grab hinaus in Verbindung zu bleiben.
So war es. So mußte es ganz einfach sein. Aber wie sollte ich gegen diesen Zustand ankämpfen? Ob die unsichtbaren Stränge nun von seiner Mutter oder von Mr. Steinway ausgingen – sie
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