15 Gruselstories
als er so tat, als wüßte er nichts von Henoch. Das bewies er jetzt, als er sich erkundigte, wieviel andere Menschen ich schon getötet hätte. Und dann wollte er wissen, wo die Köpfe geblieben wären.
Aber er konnte mich nicht länger zum Narren halten.
Ich lachte ihm nur ins Gesicht und sagte kein einziges Wort mehr.
Er redete noch eine Weile eindringlich auf mich ein, aber dann gab er es auf. Er entfernte sich kopfschüttelnd. Ich lachte ihm nach, weil es ihm nicht gelungen war, das herauszufinden, was er wissen wollte. Er hätte gerne alle Geheimnisse meiner Mutter, meine Geheimnisse und Henochs Geheimnisse herausbekommen.
Aber er hatte es nicht geschafft, und ich lachte.
Dann streckte ich mich auf der harten Pritsche aus und schlief ein. Ich schlief fast den ganzen Nachmittag über.
Als ich schließlich die Augen aufschlug, stand ein anderer Mann vor meiner Zellentür. Er hatte ein fettes Gesicht, auf dem sich jetzt ein freundliches Grinsen ausbreitete, und gutmütige Augen.
»Hallo, Seth«, sagte er sehr freundlich, »haben Sie ein kleines Nickerchen gemacht?«
Ich fuhr mir mit der Hand über den Kopf. Ich konnte Henoch nicht fühlen, aber ich wußte, daß er da war und immer noch schlief. Er bewegte sich auch im Schlaf.
»Sie brauchen keinen Schreck zu bekommen«, sagte der Mann, »ich will Ihnen nichts antun.«
»Hat Sie dieser – Doktor geschickt?« fragte ich.
Der Mann lachte. »Aber nein«, sagte er. »Mein Name ist Cassidy. Edwin Cassidy. Ich bin der Staatsanwalt und habe den Auftrag, mich mit Ihnen zu beschäftigen. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich zu Ihnen hereinkomme und mich setze?«
»Ich bin eingesperrt«, erwiderte ich.
»Daran soll es nicht liegen. Ich habe vom Sheriff die Schlüssel bekommen«, sagte Mr. Cassidy freundlich. Er zog die Schlüssel aus der Hosentasche und schloß meine Zelle auf. Dann kam er herein und nahm neben mir auf der Pritsche Platz.
»Haben Sie denn keine Angst?« fragte ich ihn. »Sie wissen doch, daß man annimmt, ich sei ein Mörder.«
»Nein, Seth«, lachte Mr. Cassidy, »ich fürchte mich nicht vor Ihnen. Ich weiß, daß Sie keiner Fliege etwas zuleide tun wollen.«
Ich zuckte nicht zusammen, als er mir die Hand auf die Schulter legte. Es war eine große, gute, sanfte Hand. An einem Finger hatte er einen großen Diamantring, der in der Sonne funkelte.
»Was macht Henoch?« fragte er. Ich sprang auf.
»Das ist schon in Ordnung«, sagte Mr. Cassidy. »Als ich diesen Dummkopf von Arzt auf der Straße getroffen habe, hat er mir davon erzählt. Er versteht das nicht mit Henoch, nicht wahr, Seth? Aber Sie und ich, wir beide wissen das besser.«
»Der Doktor denkt, daß ich verrückt bin«, flüsterte ich.
»Soll er. Aber unter uns gesagt, Seth, ist es natürlich auch zu Anfang sehr schwer, daran zu glauben. Aber etwas anderes: Ich bin gerade vom Sumpf zurückgekommen. Sheriff Shelby und einige seiner Leute sind immer noch draußen.
Sie haben gerade vor einer Weile Emily Robbins Leiche gefunden. Und noch ein paar andere Leichen. Die von einem dicken Mann, von einem kleinen Jungen und von irgendeinem Farbigen. Im Triebsand verwesen sie nicht so schnell, müssen Sie wissen.«
Als ich ihm einen raschen Blick zuwarf, sah ich, daß seine Augen immer noch lächelten. Da wußte ich, daß ich diesem Mann vertrauen konnte.
»Wenn sie weitersuchen, werden sie noch mehr Leichen finden, nicht wahr, Seth?«
Ich nickte.
»Aber ich hatte keine Veranlassung, länger draußen im Sumpf zu bleiben. Ich habe genug gesehen, um zu wissen, daß Sie die Wahrheit gesagt haben. Henoch muß Sie gezwungen haben, diese Dinge zu tun, nicht wahr, Seth?« Ich nickte wieder.
»Gut«, sagte Mr. Cassidy und drückte meine Schulter. »Sie sehen, daß wir beide uns gut verstehen. Ich mache Ihnen keine Vorwürfe – was
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